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Bern
14.5.1996

Konzerte

Max Lässers Madamax

Joachim Witt live

Kruder & Dorfmeister

Harfensphären

Clawfinger

Black Sabbath am OASG

Herbert Groenemeyer

Therapy

Judas Priest

EAV im Volkshaus

Pippo Pollina

Konzert: Sisters of Mercy

Uriah Heep am Touren

U2 in Prag

Dance Night

Die Prinzen in Zürich

Patent Ochsner in Winti

Konzert der Fanta 4

Björn im Xtra

Südstaatenrocker Georgia Satellites

Irisch, punky, cool: Big Geraniums

Mr. Ed Jumps The Gun

Element of Crime

Le _soldat inconnu

Fettes Brot

NO FX

Blümchen

Yothu _Yindi

Urban Cookie Collective

21. Winterthurer Musikwochen

Rainbirds

Gurd

Tic Tac Toe

Gaswerk

Hosen

Aerzte

Transglobal Underground

Die Verleihung des städtischen Pop-Oscars.

Ear

Pippo Pollina

Sina

Altan

Sven Väth

Paradise Lost

Marco Polo

Alles verscheissender Gören-Rap

"Ich find dich scheisse", plärren drei gerade den Windeln entstiegene Gören aus dem Glotzophon und teilen mir mit ziemlich deftigen Worten mit, was für ein Arsch ich sei. Immer wieder muss ich mich durch den Dreck ziehen lassen, anscheinend ist das üblich so, dass jetzt sogar die Frauen keine Rücksicht und Harmonie mehr kennen. Erst beim fünften Hören merke ich dann, dass nicht ich gemeint bin, sondern die Machos all over the world. Das beruhigt mich, denn von drei dahergelaufenen Teenies lasse ich mich nicht verarschen.

Als "Frei nach Schnauze" bezeichnen Tic Tac Toe ihr neues erstes Album "Tic Tac Toe". Das weibliche Ruhrpotttrio hat mit She-Gangsta nach dem Vorbild von Salt'n Peppa seinen ver"schissenen" Weg nach oben gefunden. Mit "Funky" ziehen sie den Faden weiter, sie boasten, was das Zeug hält und reimen ihren Alltagsfrust besser durch die silberne Scheibe als z.B. die politischen Rödelheimer. Die meisten ihrer Texte sind alltäglich, fast profan und reizlos, vielmehr der erfolgreiche Versuch dreier "Gören", sich gegen den Alltagstrott Luft zu verschaffen.

"Soziale" Themen wie Mann/Frau-Geschichten, Musik und Lifestyle geben den Ton an, die meisten Texte die Meinung der drei zum Thema Liebe, Sex und Zärtlichkeit wieder, und sie haben eine (fast penetrante) postpubertäre Schulmädchenattitude. Messages, wie sie auch in den politisch angehauchten Songs des Vorbildtrios Salt'n Peppa zu finden sind, erachten Tic Tac Toe als unnötig. Das Stichwort "Politik" ist ihnen fremd. "Politik? Oh Gott", meinte die hübsche Ricky, "Haben wir nichts damit zu tun", gab Lee kund und die dritte im Bunde, Jazzy, relativiert:"Wir machen unsere eigene Politik". "Lebenserfahrung, Gefühle und Träume" seien ihnen wichtig. Aber sie könnten sich wenigstens vorstellen, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu rappen, fügten sie auf eine Folgefrage hinzu. Das sei nicht politisch. Das würde sich aber vielleicht ändern, wenn sie älter werden.

Sie sehen sich als "Gören", die der Welt sagen, was sie von ihr halten. Es interessiert sie leider nicht, was die Welt von ihnen hält. Aber beim Intitermin mit Biwidus gaben sich die drei viel natürlicher, alberten herum, laberten, was das Zeug hielt und versuchten, Schweizerdeutsch zu lernen. Die süsse Rocky war sogar etwas erkältet. So wurden aus den erfolgreichen Gören aus Viva vorlaute Schulmädchen aus dem Ruhrpott, so wirkten sie uns bedeutend sympathischer. Anschliessend haben wir mit ihnen ein Spiel gemacht, das Freud-Spiel. auf ein Stichwort von uns warfen sie den ersten Begriff ein, der ihnen einfiel.

Schweiz?

Skifahren, Berge

Deutschland

Da lebe ich

Rap und Hiphop?

Cool, Musik, Amiland

Rödelheim

Packt eure Dödel ein - geht zurück nach Rödelheim (lacht), dissen, Frankfurt

Männer?

Nett, hmmmm, ohne sie gehts nicht

Frauen?

Genauso. Aber ich bin nicht lesbisch

Erfolg?

Macht Spass

Internet?

Was?, Scheisse, cool, gewisse Sachen müssen rausgenommen werden, z.B. Naziparolen und Kinderpornographie

Jazzy (18) ist die Wortführerin der drei und sprüht einen schalkhaften Charme in die Welt hinaus. Die attraktive Ricky, ebenso 18 Jahre alt und frische Autofahrerin, war mal Model und ist die Nichte des Rap-Zahnarztes Dr. Alban aus Schweden. Und Lee schliesslich, jetzt mit kurzgeschorenem und gebleichtem Haar, rundet mit ihrer ruhigen Art das Trio ab. Die drei Rapperinnen, die mit ihrer Art den Uebergang vom Kind zu erwachsenen Frau auszuleben scheinen, haben innert kürzester Zeit einen Hype entfesselt, der sich interessanterweise vor allem unter SEHR jungen Jugendlichen wie ein Lauffeuer ausbreitet, gerade unter Mädchen. Und ihr gerade erschienenes Album "Tic Tac Toe" wird zum Manifest dieser frühreifen Jugend, der Texte wie "Ich find dich Scheisse!" und "Verpiss dich!" genauso eingetrichtert werden, wie die Thematisierung von Sex. Selbstbewusstsein wollen die drei Girls dort auf der Bühne ausdrücken, die 12- bis 14-jährigen jedoch könnten diese Attitude druchaus auch als Aufruf zur Rücksichtslosigkeit und zur Glorifizierung des Individuums auslegen, geistig unreif und beeinflussbar, wie mensch in diesem Alter halt nun mal ist.

Wie schon dem letzten Abschnitt zu entnehmen ist, war der Autor von den drei und vor allem vom Konzert alles andere wie begeistert. Bevor die drei Ruhrpotterinnen ins Zürcher Volkshaus kamen, traten sie im Berner Theater National auf, wo wir sie abfingen. Sie spielten dabei immerhin das erste vollständige Konzert ihrer Karriere (i.e. mit dem ganzen CD-Repertoire). Etwa hundert Personen wollten dieses "Konzert" sehen. Und was für Personen! In der kleinen Halle stolperten kleine Dinger herum, die mensch zweifellos als "Kinder" bezeichnen muss, denn wer über 16 war, kam sich in diesem Gewühl aus Kindergarten- und PrimarschülerInnen wie ein Grufti vor. Das musste sogar Gaudimax feststellen, der am Tag davor 18 geworden ist. Die Kleinen kreischten schon bei der Vorgruppe, der Baslerin Luana (neben Tic Tac Toe geradezu ein Rap-Profi) und DJ Ace, nach Tic Tac Toe, wie die älteren bei Take That und wir bei den Hosen. Es war ein lustiger und für uns ungewohnter Anblick, wie da die heutige Bravogeneration, sekundiert in vielen Fällen vom sorgenden Elternteil, sich an der Girlie-Musik der drei aufgeilten (sorry, aber so war es). Dabei frage ich mich ernsthaft, ob sie den Inhalt z.B. von "Funky" ("ich sitz auf deinem schoss, ein kleiner Traum wird riesengross") auch wirklich verstehen.

Wie auch immer. Das Konzert war ziemlich billig gemacht, ohne Lichteffekte und sonstige dramaturgische Spielereien, wie sie auch bei Rap-Gigs üblich sind. Natürlich kam die Musik ab Playback (ich hoffe, NUR die Musik). Die CD wurde einfach von vorne nach hinten durchgenommen, eine neue und unsympathische Tendenz in der Musikszene. Originalität war nicht gefragt, hätte wohl auch nichts gebracht. also rappten und wiegten sich die drei im 4/4-Takt durch eine Stunde Sound. Die Sprüche dazwischen wirkten zwar nicht langweilig, aber doch unbeholfen - kein Vergleich zum Beispiel zu den viel lebendigeren Girls von Wemean. Na, Tic Tac Toe haben in Bern die kindlichen Massen begeistern können, das ist die Hauptsache. Aber ob es für die Qualität ihrer Musik spricht, sei einmal dahingestellt. Ein langer Weg liegt noch vor ihnen - und das ist nicht zweideutig gemeint....



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Theater National in Bern