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18.4.1996

Konzerte

Max Lässers Madamax

Joachim Witt live

Kruder & Dorfmeister

Harfensphären

Clawfinger

Black Sabbath am OASG

Herbert Groenemeyer

Therapy

Judas Priest

EAV im Volkshaus

Pippo Pollina

Konzert: Sisters of Mercy

Uriah Heep am Touren

U2 in Prag

Dance Night

Die Prinzen in Zürich

Patent Ochsner in Winti

Konzert der Fanta 4

Björn im Xtra

Südstaatenrocker Georgia Satellites

Irisch, punky, cool: Big Geraniums

Mr. Ed Jumps The Gun

Element of Crime

Le _soldat inconnu

Fettes Brot

NO FX

Blümchen

Yothu _Yindi

Urban Cookie Collective

21. Winterthurer Musikwochen

Rainbirds

Gurd

Tic Tac Toe

Gaswerk

Hosen

Aerzte

Transglobal Underground

Die Verleihung des städtischen Pop-Oscars.

Ear

Pippo Pollina

Sina

Altan

Sven Väth

Paradise Lost

Marco Polo

Transglobal Underground ist overground

Wer, wie ich, in den Achtzigerjahren "erwachsen" geworden ist, kennt die Rolle und die Funktion, die die Housemusic und seine Ableger für den letzten Jahrgang vor den verlorenen XYZ-Generationen gespielt hat. Wir sind mit den illegalen Smiley-Parties aufgewachsen, als House und Techno noch wirklich "underground" waren, jedeR noch jedeN kannte (die "Szene" halt) und vor allem das Publikum nicht nur körperlich reif war (Stichwort Rave-Tussies). Aus dieser längst vergangenen Zeit stammt auch das Londoner DJ-Kollektiv "Transglobal Underground". TGU galten als die Gurus des britisch geprägten Minderheiten-Technos, das sich anfänglich erfolgreich gegen den aus Mitteleuropa kommenden Kommerz-Unz ("Dancefloor") gewehrt hat. Seit ihren Anfängen 1991 haben sich die Jungs aber gewandelt, ohne sich zu ändern. Sie wurden plötzlich erfolgreich, quasi unerwartet, in der Schweiz vor allem auf den garage- und ambientträchtigen Tanzflächen der Welschschweiz.

"Underground wird overground und Overground wird Underground", hatte der Technophilosoph und Frontexperte Maximilian Lenz (alias Westbam) in einem leutseligen Augenblick von sich gelassen. Der Satz trifft wohl auf kaum jemand mehr zu, als auf Transglobal Underground. Das 1991 aus der Taufe gehobene DJ-Kollektiv hat 1993 sein erfolgreiches Debutalbum "Dream of 100 Nations" lanciert und gleich einen Megahit gelandet. Zusammen mit dem zweiten Album "International Times" hat TGU es geschafft, sieben von insgesamt zehn ausgekoppelten Singles als "Single of the week" von der Fachpresse umjubeln zu lassen. Etliche von diesen Hits waren dann auch auf der streng limitierten Remix-Scheibe "Interplanetary Meltdown" drauf, neu aufgenommen von berühmten "Kollegen" wie Justin Robertson oder The Sabres of Paradise.

Es ist schwer, ja unmöglich, die Musik von TGU korrekt zu bezeichnen. Vielsagend sind jeweils die Titel von Alben und Singles. Allein schon der Name ihres ersten Albums ("Dream of 100 Nations") spricht Bände, und diejenigen der Single-Veröffentlichungen daraus (z.B. "I, Voyager" oder "El Heddud") sind Programm. So zieht sich dieser "World Music"-Faden nicht nur durch die Namen der ausgezeichnet produzierten Tracks, sondern auch durch die Musik selbst. Die Musikjournalisten haben viele Namen für diesen Sound gefunden. Wir machen uns die Mühe gar nicht. Wir suchen mal nach den Bestandteilen. Denn wie auch am Konzert festzustellen war, TGU machen einen unorthodoxen Mischmasch aus verschiedenen Stilelementen. Während die Synthis und Keyboards regelrecht nach Techno-Live-Gig-Manier vergewaltigt werden, spielt plötzlich einer (echt!) Klarinette oder Darbouka. Gleichzeitig jault Natacha Atlas ihren arabischen Singsang dazwischen. Und mensch weiss nicht, was das Durcheinander soll. Trotzdem vereint sich dann dieses heterogene Gemisch in den Akustikbereichen unseres technoiden Gehirns zu einer wundervollen und höchst berauschenden Verbindung.

A propos Konzert. Und um dieses sollte es ja gehen. Jedenfalls war alles echt, was dort auf der Bühne lief. Das DAT war, wenn überhaupt, dann nur ein Instrument unter vielen. Trotz des grossen Werbeaufwandes war das Kaufleuten auch schon voller gewesen, das anwesende Publikum allerdings genoss das Konzert. TGU traten mit einer verhältnismässig "traditionellen" Besetzung auf wie Schlagzeug, Bass und so weiter. Von Anfang an fuhr das Konzert völlig ab und in die Beine. Man hätte meinen können, dass dort oben eine stinknormale Rockband spiele. Die Lichteffekte waren sehr bescheiden, sicher nicht das wichtigste Element des Konzertes. Dafür wechselten sich Gesangparts von Natacha mit dem monotonen Sprechgesang des Rastamans Neil Sparkes und dem peitschenden Rap des TGU-Frontmannes Coleridge ab. Dazwischen immer wieder Sprüche wie an einem kommunen Rockkonzert, mensch wusste wirklich nicht mehr, wo mensch war. Und die Band deckte diese Vocals mit allerhand sphärischen Klängen und fetten Beats aus der Soundkiste von TGU ab. Also, wenn das nicht "fägt"!

Acid Jazz ist sicherlich das Grundelement in dieser Verbindung. Technoide Beats der alten Housegeneration sind zumindest strukturell nicht überhörbar. Ein weiterer wichtiger Teil des Ganzen ist genauso so sicher Ambient und alle seine Abarten. Hmm. Und diese Musik erinnert sehr deutlich an die Höhepunkte der Ethno-House-Zeit (z.B. das Coldcut-Wunderwerk "Im nin alu" von Ofra Haza). Kontinental würde ich sagen, sind Anleihen aus Europa, Afrika, dem Nahen Osten und sehr viel lateinamerikanisches mit dabei. TGU verstehen sich als "international" bis ins Mark, transglobal bis zum Gehtnichtmehr. Wenn auch nicht von "Underground" die Rede sein kann, meine ich. Dafür sind die Typen einfach zu gut. Und sie touren und touren. Cool!

TGU ist ein Kollektiv, das merkt mensch durchaus auch am Auftritt, wo alle MusikerInnen eine ihnen auf den Leib geschneiderte Rolle haben. Ueberhaupt: TGU sind wohl eine der besten "Techno"-Gigs überhaupt. Ihre Konzerte fahren völlig ab, sie gelten nicht umsonst als eine der beliebtesten Live-Bands aus britischen Landen. Hier vereinen sich synthetische Klänge aus der Maschine mit "echten" Sounds von Percussion, Klarinette und der Kehle eines Menschen aus einem "exotischen" Land. Das ist Fusion in Reinkultur - und hebt alle bisherigen Denkmuster in Sachen Musikstil auf. Was für TGU gilt, gilt übrigens durchaus auch für das kontinentale Pendant, das französische Tüftlerduo "Deep Forest". Klar, hier spielen auch die "planetary melting-pots" London und Paris eine tragende Rolle. Der Melody Maker schrieb unlängst über TGU:"They suck in sounds from all across the planet, and turn them into fabulous and innovative dance tracks."

Zum Thema "Fusion" lasst mich Euch noch auf einen interessanten Punkt hinweisen. Die Sängerin Natacha Atlas ist, wie ihre "Vorgängerin" Ofra Haza zu den Urzeiten des Ethno-House, eine arabische Jüdin und kann also wohl am kompetentesten mitreden, wenn es um "Fusion" geht (deshalb auch der Titel ihres ersten Albums "Diaspora" - selbstredend produziert von TGU).

Und jetzt kommt der absolute Hit: Am 13. Mai erscheint das ganz neue TGU-Album "Psychic Karaoke". Und sowohl die TGU-Kernbesetzung, die Soundtüftler Mantu, Alex Kasiek und Count Doubulah sind wieder dabei, als auch die "zum festen Repertoire" gehörenden Natacha Atlas und Rapper Neil Sparkes. TGU machen weiter, wo sie aufgehört haben, der musikalische Röschtigraben zwischen Ethno-Folk und Techno wird weiter zugegraben, ganz nach dem TGU-Hauptmotto: "Dance: Yeah! Techno: No!". Und auch ihre französischen Brüder von "Deep Forest" werden nach ihrem Grosserfolg auf dem "Strange Days"-Soundtrack wohl nicht mehr auf ihr neustes Werk warten lassen.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Kaufleuten Zürich