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Transglobal Underground
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Transglobal Underground ist overground
Wer, wie ich, in den Achtzigerjahren "erwachsen" geworden ist, kennt die Rolle
und die Funktion, die die Housemusic und seine Ableger für den letzten Jahrgang
vor den verlorenen XYZ-Generationen gespielt hat. Wir sind mit den illegalen
Smiley-Parties aufgewachsen, als House und Techno noch wirklich "underground"
waren, jedeR noch jedeN kannte (die "Szene" halt) und vor allem das Publikum
nicht nur körperlich reif war (Stichwort Rave-Tussies). Aus dieser längst
vergangenen Zeit stammt auch das Londoner DJ-Kollektiv "Transglobal
Underground". TGU galten als die Gurus des britisch geprägten
Minderheiten-Technos, das sich anfänglich erfolgreich gegen den aus Mitteleuropa
kommenden Kommerz-Unz ("Dancefloor") gewehrt hat. Seit ihren Anfängen 1991 haben
sich die Jungs aber gewandelt, ohne sich zu ändern. Sie wurden plötzlich
erfolgreich, quasi unerwartet, in der Schweiz vor allem auf den garage- und
ambientträchtigen Tanzflächen der Welschschweiz.
"Underground wird overground und Overground wird Underground", hatte der
Technophilosoph und Frontexperte Maximilian Lenz (alias Westbam) in einem
leutseligen Augenblick von sich gelassen. Der Satz trifft wohl auf kaum jemand
mehr zu, als auf Transglobal Underground. Das 1991 aus der Taufe gehobene
DJ-Kollektiv hat 1993 sein erfolgreiches Debutalbum "Dream of 100 Nations"
lanciert und gleich einen Megahit gelandet. Zusammen mit dem zweiten Album
"International Times" hat TGU es geschafft, sieben von insgesamt zehn
ausgekoppelten Singles als "Single of the week" von der Fachpresse umjubeln zu
lassen. Etliche von diesen Hits waren dann auch auf der streng limitierten
Remix-Scheibe "Interplanetary Meltdown" drauf, neu aufgenommen von berühmten
"Kollegen" wie Justin Robertson oder The Sabres of Paradise.
Es ist schwer, ja unmöglich, die Musik von TGU korrekt zu bezeichnen. Vielsagend
sind jeweils die Titel von Alben und Singles. Allein schon der Name ihres ersten
Albums ("Dream of 100 Nations") spricht Bände, und diejenigen der
Single-Veröffentlichungen daraus (z.B. "I, Voyager" oder "El Heddud") sind
Programm. So zieht sich dieser "World Music"-Faden nicht nur durch die Namen der
ausgezeichnet produzierten Tracks, sondern auch durch die Musik selbst. Die
Musikjournalisten haben viele Namen für diesen Sound gefunden. Wir machen uns
die Mühe gar nicht. Wir suchen mal nach den Bestandteilen. Denn wie auch am
Konzert festzustellen war, TGU machen einen unorthodoxen Mischmasch aus
verschiedenen Stilelementen. Während die Synthis und Keyboards regelrecht nach
Techno-Live-Gig-Manier vergewaltigt werden, spielt plötzlich einer (echt!)
Klarinette oder Darbouka. Gleichzeitig jault Natacha Atlas ihren arabischen
Singsang dazwischen. Und mensch weiss nicht, was das Durcheinander soll.
Trotzdem vereint sich dann dieses heterogene Gemisch in den Akustikbereichen
unseres technoiden Gehirns zu einer wundervollen und höchst berauschenden
Verbindung.
A propos Konzert. Und um dieses sollte es ja gehen. Jedenfalls war alles echt,
was dort auf der Bühne lief. Das DAT war, wenn überhaupt, dann nur ein
Instrument unter vielen. Trotz des grossen Werbeaufwandes war das Kaufleuten
auch schon voller gewesen, das anwesende Publikum allerdings genoss das Konzert.
TGU traten mit einer verhältnismässig "traditionellen" Besetzung auf wie
Schlagzeug, Bass und so weiter. Von Anfang an fuhr das Konzert völlig ab und in
die Beine. Man hätte meinen können, dass dort oben eine stinknormale Rockband
spiele. Die Lichteffekte waren sehr bescheiden, sicher nicht das wichtigste
Element des Konzertes. Dafür wechselten sich Gesangparts von Natacha mit dem
monotonen Sprechgesang des Rastamans Neil Sparkes und dem peitschenden Rap des
TGU-Frontmannes Coleridge ab. Dazwischen immer wieder Sprüche wie an einem
kommunen Rockkonzert, mensch wusste wirklich nicht mehr, wo mensch war. Und die
Band deckte diese Vocals mit allerhand sphärischen Klängen und fetten Beats aus
der Soundkiste von TGU ab. Also, wenn das nicht "fägt"!
Acid Jazz ist sicherlich das Grundelement in dieser Verbindung. Technoide Beats
der alten Housegeneration sind zumindest strukturell nicht überhörbar. Ein
weiterer wichtiger Teil des Ganzen ist genauso so sicher Ambient und alle seine
Abarten. Hmm. Und diese Musik erinnert sehr deutlich an die Höhepunkte der
Ethno-House-Zeit (z.B. das Coldcut-Wunderwerk "Im nin alu" von Ofra Haza).
Kontinental würde ich sagen, sind Anleihen aus Europa, Afrika, dem Nahen Osten
und sehr viel lateinamerikanisches mit dabei. TGU verstehen sich als
"international" bis ins Mark, transglobal bis zum Gehtnichtmehr. Wenn auch nicht
von "Underground" die Rede sein kann, meine ich. Dafür sind die Typen einfach zu
gut. Und sie touren und touren. Cool!
TGU ist ein Kollektiv, das merkt mensch durchaus auch am Auftritt, wo alle
MusikerInnen eine ihnen auf den Leib geschneiderte Rolle haben. Ueberhaupt: TGU
sind wohl eine der besten "Techno"-Gigs überhaupt. Ihre Konzerte fahren völlig
ab, sie gelten nicht umsonst als eine der beliebtesten Live-Bands aus britischen
Landen. Hier vereinen sich synthetische Klänge aus der Maschine mit "echten"
Sounds von Percussion, Klarinette und der Kehle eines Menschen aus einem
"exotischen" Land. Das ist Fusion in Reinkultur - und hebt alle bisherigen
Denkmuster in Sachen Musikstil auf. Was für TGU gilt, gilt übrigens durchaus
auch für das kontinentale Pendant, das französische Tüftlerduo "Deep Forest".
Klar, hier spielen auch die "planetary melting-pots" London und Paris eine
tragende Rolle. Der Melody Maker schrieb unlängst über TGU:"They suck in sounds
from all across the planet, and turn them into fabulous and innovative dance
tracks."
Zum Thema "Fusion" lasst mich Euch noch auf einen interessanten Punkt hinweisen.
Die Sängerin Natacha Atlas ist, wie ihre "Vorgängerin" Ofra Haza zu den Urzeiten
des Ethno-House, eine arabische Jüdin und kann also wohl am kompetentesten
mitreden, wenn es um "Fusion" geht (deshalb auch der Titel ihres ersten Albums
"Diaspora" - selbstredend produziert von TGU).
Und jetzt kommt der absolute Hit: Am 13. Mai erscheint das ganz neue TGU-Album
"Psychic Karaoke". Und sowohl die TGU-Kernbesetzung, die Soundtüftler Mantu,
Alex Kasiek und Count Doubulah sind wieder dabei, als auch die "zum festen
Repertoire" gehörenden Natacha Atlas und Rapper Neil Sparkes. TGU machen weiter,
wo sie aufgehört haben, der musikalische Röschtigraben zwischen Ethno-Folk und
Techno wird weiter zugegraben, ganz nach dem TGU-Hauptmotto: "Dance: Yeah!
Techno: No!". Und auch ihre französischen Brüder von "Deep Forest" werden nach
ihrem Grosserfolg auf dem "Strange Days"-Soundtrack wohl nicht mehr auf ihr
neustes Werk warten lassen.
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