Mädchen-Theater 1998
Wir feieren 150 Jahre Bundesstaat, und niemand interessiert das. Eine Ausnahme
ist die 15jährige Rahel aus Rupperswil im tiefsten Aargau. Die Kleine
hat zusammen mit ihren Freundinnen ein besonderes Projekt in die Hand
genommen. Im Rahmen eines Geschichtswettbewerbes für das Jubeljahr
reichte sie kürzlich einen Beitrag in Form eines Theaterstückes ein.
Dieses Stück stach aus der Reihe der anderen Beiträge mit seiner Frische und
Jugendlichkeit hervor.
Biwidus hat zwar versprochen, nicht zu verraten, ob Rahel und ihre
Freundinnen etwas gewonnen haben, aber das Stück war auf jeden Fall
ausgezeichnet. Entstanden ist es aus der Idee heraus, hundertfünfzig
Jahre Aargauer und Schweizer Geschichte theatralisch wiederzugeben.
Rahel sammelte also mit ihrem Vater seit Oktober aus verschiedenen
Quellen (Büchern) Fakten und machte aus ihnen modern
anmutende Schlagzeilen.
Rund um diese Schlagzeilen schrieb Rahel ein lockeres Gefüge von szenischen
Texten. Sie selbst führt durch das Stück, indem sie als Paperboy der
Aargauer Zeitung
immer wieder ihre Headlines in die Szenen einwirft. Ihre
Kolleginnen kommentieren sie als ewigwährender Stammtisch und mit
sketchartigen Kurz-Rollenspielen. So werden 200 Jahre bewegter
helvetisch-aargauischer Geschichte auf eine Stunde Spiel verkürzt. Das
reicht von ersten revolutionären Gedanken von jugendlichen Aargauern
bis zur heutigen Jugend, die - aus ihrer unmündigen Ohnmacht befreit -
mit der Taschenlampe das Licht im Dunkel der Zukunft sucht.
Rahel versteht sich sehr gut in Bildern und ihrer eigenen Sprache.
Mit Dynamik und Drive (und ein paar auffälligen Längen) führt sie durch
das Programm. Die Kleine und ihre 12-16jährigen Freundinnen haben jedoch
die ganze Zeit mit einem doch an sich wichtigen Problem zu kämpfen. Es ist
offensichtlich, dass sie (leider etwas häufig) keinen Schimmer davon
haben, was sie aufführen. Sie haben offenbar nicht die Sattelfestigkeit
in historischen Fragen, nicht selten sagen ihnen auch die Ausdrücke nichts,
die sie verwenden. Und das ist wirklich schade.
Sonst jedoch muss man vor den Mädchen und jungen Frauen den Hut ziehen.
Entgegegen allen Unkenrufen, dass die Jubiläumsfeier die Jugendlichen einen
feuchten Scheissdreck angeht und dass Mädchen sich mit nichts anderem
beschäftigen als mit Boygroups, haben da ein paar Girls ein echtes Werk
hingekriegt. Klar, dass das Stück hie und da hapert und die Mädels ihre
Texte noch nicht perfekt konnten (einige waren kurzfristig ausgestiegen).
Sonst jedoch waren wir (die Jury) baff. Bravo, Mädchen!
Ein wichtiges Problem haben die Jungschauspielerinnen: bisher war nur eine
Aufführung geplant (eben für die Jury). Und das ist eine Verschwendung.
Sie sollten die Möglichkeit haben, ihr Stück auch Anderen anbieten zu können.
Ich denke an eine Tournee durch Schulen und/oder an eine Videoversion des Stückes.
Da sind die Behörden und die Jugendarbeit gefragt, wenn ein paar Girls ein
selbstkritisches Stück Geschichtstheater gemacht haben. So viel Freude an
der Kultur und an der Selbstreflexion erwartet man von der Generation X
leider nicht mehr.
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