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Theater
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Endlich: der reizende Regen ist gefallen
Etwas lächerlich war die Sache schon, als im Frühling letzten Jahres das
Schauspielhaus das Stück "Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden
Herrn Arthur Schnitzler" uraufführen wollte. Alles war vorbereitet, die Plakate
gedruckt und die Medien informiert. Der Züri-Tip schrieb damals über Schnitzlers
Original-"Reigen":"Das 1896 entstandene Eros-Karrussel galt als
skandalträchtigstes und anstössigstes Theaterstück in der deutschsprachigen
Theaterlandschaft und durfte der Oeffentlichkeit nur in homöopatischen Dosen
zugemutet werden". Aber der "Reigen" von Schwab sei skandalös normal und nicht
besonders erotisch, urteilten die anderen Medien. Der vor zwei Jahren
verstorbene Schwab habe aus der delikaten Vorlage von Arthur Schnitzler ein
Stück Normalität geschaffen. Kurz: ein orthodoxes Stück Theater. In einer Zeit,
da nur das besonders Schräge und Eigensinnige als "gut" angeschaut wird, war das
ein Verbrechen. Wir denken da anders.
Drei Tage vor der geplanten Premiere am 15.3.1995 verfügte das Obergericht die
Aussetzung der Uraufführung. Der Grund war aufführungsrechtlicher Natur. Durch
irgendeine juristische Haarspalterei (von wegen EU-Recht und 70 Jahre
Urheberschutz) brachten es die Erben Schnitzlers fertig, Schwabs Uraufführung zu
vereiteln. Das Schweizer Urheberrecht erlaubte aber die Uraufführung. Es
entstand ein rechtlicher Streitfall zwischen dem Schauspielhaus und den
Schnitzler-Erben, vertreten durch den S. Fischer-Verlag. Die Pfauenbühne verlor
den Zweikampf. Aber Kuck, und Co. liessen sich nicht lumpen, pochten auf ihre
Rechte als Kulturinstitut und führten den "Reigen" als Privatveranstaltung für
"die Freunde des Schauspielhauses" auf. Und da Krethi und Plethi plötzlich als
"Freunde" galten und hineingelassen wurden, wurden die Pfauenhäusler gebüsst.
Die Busse war zwar symbolisch wenig, gleichzeitig war sie aber für viele Kultur-
und Theaterfans in Zürich auch ein Symbol des passiven Widerstandes gegen einen
alles reglementierenden Staat und der kulturellen Freiheit. Kratzen tat das
jedenfalls niemanden.
Jetzt, ein Jahr und knapp einen Monat nach dem kulturellen Mini-Skandal, wurde
das Stück endlich uraufgeführt, inszeniert von Rüdiger Burbach. Auffällig war
bei diesem Stück einmal die hervorragende Nutzung des Schauspielhauskellers als
Bühne. Das Bühnenbild deckte fast die Hälfte des Raumes ab und benützte die
vorhandenen "topographischen" Begebenheiten wie die Empore für seine Zwecke.
Ueberhaupt war das breite und in verschiedenen Räumen spielende Bühnenbild mit
Abstand die grösste Stärke des Stückes. Plötzlich klappte der Boden auf, ein
Himmelbett kam zum Vorschein. Das Aquarium wurde auf die Seite geschoben und
kreierte eine neue Welt. Eine Lampe wurde zwischen den Scheinwerfern durch auf
die Bühne geliftet. Wände wurden zur Seite geschoben und offenbarten entweder
ein kleines Badezimmer oder einen Kühlschrank. Das Problem des Hintergrundes war
wirklich sehr gut gelöst, vor allem, weil es eigentlich mindestens acht
verschiedene Spielorte gegeben hat.
Von Handlung kann nicht die Rede sein. Die Handlung ist eigentlich, dass jeder
mit jeder schläft. Es gibt eine Kette, die sich konsequent durchzieht, der eine
tut`s mit der nächsten und so weiter. Die ganze Handlung wird also auf den Sex
reduziert, das kommt uns doch irgendwie bekannt vor, vor allem in der Aera
Laetitia. Trotzdem sieht mensch nie eine echte Sexszene. Es wird zwar viel Haut
gezeigt, fast bis hinauf zum Geschlecht, aber richtig sehen tut mensch nichts.
Das ist das witzige an diesem Stück. Sex wird angedeutet. Ziemlich deftig zwar,
aber angedeutet. Der Mann holt jeweils einen Gummischwanz hervor, übergibt ihn
der Faru auf irgendeine Weise, und sie stopft ihn sich mit mehr oder weniger
Genuss in eine ihrer Körperöffnungen. Eigentlich auch ein bekanntes Szenario.
Und dann wird fleissig gestöhnt. Irgendwann ist es dann fertig, und mensch
trennt sich voneinander. All dies ist eigentlich Pornostoff, mit dem Unterschied
aber, dass hier alles nur Show ist. Die SchauspielerInnen sind, wie beim Porno,
unbedeutend, sie dienen nur dazu, den Sex zu vollziehen. Für den Anfang des
zwanzigsten Jahrhunderts, als Schnitzler das Stück schrieb, war wohl sogar dies
praktizierte Unzucht, aber er schaffte es, Sex zu zeigen, ohne Sex zu zeigen,
eine dramaturgische Notwendigkeit, die wir heute als einen gelungenen Scherz
empfinden. Ich fand Katharina von Bock als blonde Friseuse überragend. Die
anderen waren auf ihre höchst penetrierende und penetriert werdende Weise ganz
amüsant.
Der "Reigen" ist eine Satire auf Pornos. Ganz offensichtlich hat zumindest
Schwab es geschafft, sich mit einem Theaterstück über dieses "Genre" mit allen
Mitteln der Kunst lustig zu machen. Und es war wirklich lustig. Die ganze
Deftigkeit, die obszönen Szenen und Handlungen, die völlig über- und verdrehte
und vergewaltigte Sprache, alles diente dazu, eine Welt der totalen und
gewalttätigen Sexomanie herzustellen. Alle werden beherrscht vom Sexus, wie wir
von Freud wissen. Und Schwab und Schnitzler kannten ihren Freud. Wenn alle mit
allen schliefen (resp. der Gummischwanz von der einen Hand in die andere
wanderte), waren das jeweils die mit Abstand lustigsten Szenen, Gelächter war
vorprogrammiert - trotz der eigentlichen Primitivität des Vorfallenden.
Der "Reigen" ist eine Satire, die durchaus auf ihre Art und Weise Format hat. Er
ist ein Stück für solche, die keine schwachen Nerven oder religiös-sittliche
Gefühle haben. Und er ist ein Stück für Humor-Fans, die auch der Meinung sind,
wie wir von der Biwidus-Redaktion: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Prost!
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