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2.4.1996

Theater

Karls neues kühnes Gassenschau-Programm

150 Jahre Bundesstatt

Züri lacht

Theater für Zürich

Lorenz Keiser: Aquaplaning

Andorra

Lysistrata

Clownschule Dimitris

Chin. National_zirkus

Theater der _Suchtprävention 96

Bremer Freiheit

Hanglage Meerblick

Schauspielhaus 1996

Eine _tierische Farm

Reizender Reigen

Blick zurück im Zorn

Massimo _Rocchi

Blickfelder

Bruno und Bruno

Die _Mausefalle

Ibsens _Wildente

Zwölf Leichen im Keller

Gedenkfeier für Eynar _Grabowsky

Girls in der Winkelwiese

Endlich: der reizende Regen ist gefallen

Etwas lächerlich war die Sache schon, als im Frühling letzten Jahres das Schauspielhaus das Stück "Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler" uraufführen wollte. Alles war vorbereitet, die Plakate gedruckt und die Medien informiert. Der Züri-Tip schrieb damals über Schnitzlers Original-"Reigen":"Das 1896 entstandene Eros-Karrussel galt als skandalträchtigstes und anstössigstes Theaterstück in der deutschsprachigen Theaterlandschaft und durfte der Oeffentlichkeit nur in homöopatischen Dosen zugemutet werden". Aber der "Reigen" von Schwab sei skandalös normal und nicht besonders erotisch, urteilten die anderen Medien. Der vor zwei Jahren verstorbene Schwab habe aus der delikaten Vorlage von Arthur Schnitzler ein Stück Normalität geschaffen. Kurz: ein orthodoxes Stück Theater. In einer Zeit, da nur das besonders Schräge und Eigensinnige als "gut" angeschaut wird, war das ein Verbrechen. Wir denken da anders.

Drei Tage vor der geplanten Premiere am 15.3.1995 verfügte das Obergericht die Aussetzung der Uraufführung. Der Grund war aufführungsrechtlicher Natur. Durch irgendeine juristische Haarspalterei (von wegen EU-Recht und 70 Jahre Urheberschutz) brachten es die Erben Schnitzlers fertig, Schwabs Uraufführung zu vereiteln. Das Schweizer Urheberrecht erlaubte aber die Uraufführung. Es entstand ein rechtlicher Streitfall zwischen dem Schauspielhaus und den Schnitzler-Erben, vertreten durch den S. Fischer-Verlag. Die Pfauenbühne verlor den Zweikampf. Aber Kuck, und Co. liessen sich nicht lumpen, pochten auf ihre Rechte als Kulturinstitut und führten den "Reigen" als Privatveranstaltung für "die Freunde des Schauspielhauses" auf. Und da Krethi und Plethi plötzlich als "Freunde" galten und hineingelassen wurden, wurden die Pfauenhäusler gebüsst. Die Busse war zwar symbolisch wenig, gleichzeitig war sie aber für viele Kultur- und Theaterfans in Zürich auch ein Symbol des passiven Widerstandes gegen einen alles reglementierenden Staat und der kulturellen Freiheit. Kratzen tat das jedenfalls niemanden.

Jetzt, ein Jahr und knapp einen Monat nach dem kulturellen Mini-Skandal, wurde das Stück endlich uraufgeführt, inszeniert von Rüdiger Burbach. Auffällig war bei diesem Stück einmal die hervorragende Nutzung des Schauspielhauskellers als Bühne. Das Bühnenbild deckte fast die Hälfte des Raumes ab und benützte die vorhandenen "topographischen" Begebenheiten wie die Empore für seine Zwecke. Ueberhaupt war das breite und in verschiedenen Räumen spielende Bühnenbild mit Abstand die grösste Stärke des Stückes. Plötzlich klappte der Boden auf, ein Himmelbett kam zum Vorschein. Das Aquarium wurde auf die Seite geschoben und kreierte eine neue Welt. Eine Lampe wurde zwischen den Scheinwerfern durch auf die Bühne geliftet. Wände wurden zur Seite geschoben und offenbarten entweder ein kleines Badezimmer oder einen Kühlschrank. Das Problem des Hintergrundes war wirklich sehr gut gelöst, vor allem, weil es eigentlich mindestens acht verschiedene Spielorte gegeben hat.

Von Handlung kann nicht die Rede sein. Die Handlung ist eigentlich, dass jeder mit jeder schläft. Es gibt eine Kette, die sich konsequent durchzieht, der eine tut`s mit der nächsten und so weiter. Die ganze Handlung wird also auf den Sex reduziert, das kommt uns doch irgendwie bekannt vor, vor allem in der Aera Laetitia. Trotzdem sieht mensch nie eine echte Sexszene. Es wird zwar viel Haut gezeigt, fast bis hinauf zum Geschlecht, aber richtig sehen tut mensch nichts. Das ist das witzige an diesem Stück. Sex wird angedeutet. Ziemlich deftig zwar, aber angedeutet. Der Mann holt jeweils einen Gummischwanz hervor, übergibt ihn der Faru auf irgendeine Weise, und sie stopft ihn sich mit mehr oder weniger Genuss in eine ihrer Körperöffnungen. Eigentlich auch ein bekanntes Szenario. Und dann wird fleissig gestöhnt. Irgendwann ist es dann fertig, und mensch trennt sich voneinander. All dies ist eigentlich Pornostoff, mit dem Unterschied aber, dass hier alles nur Show ist. Die SchauspielerInnen sind, wie beim Porno, unbedeutend, sie dienen nur dazu, den Sex zu vollziehen. Für den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als Schnitzler das Stück schrieb, war wohl sogar dies praktizierte Unzucht, aber er schaffte es, Sex zu zeigen, ohne Sex zu zeigen, eine dramaturgische Notwendigkeit, die wir heute als einen gelungenen Scherz empfinden. Ich fand Katharina von Bock als blonde Friseuse überragend. Die anderen waren auf ihre höchst penetrierende und penetriert werdende Weise ganz amüsant.

Der "Reigen" ist eine Satire auf Pornos. Ganz offensichtlich hat zumindest Schwab es geschafft, sich mit einem Theaterstück über dieses "Genre" mit allen Mitteln der Kunst lustig zu machen. Und es war wirklich lustig. Die ganze Deftigkeit, die obszönen Szenen und Handlungen, die völlig über- und verdrehte und vergewaltigte Sprache, alles diente dazu, eine Welt der totalen und gewalttätigen Sexomanie herzustellen. Alle werden beherrscht vom Sexus, wie wir von Freud wissen. Und Schwab und Schnitzler kannten ihren Freud. Wenn alle mit allen schliefen (resp. der Gummischwanz von der einen Hand in die andere wanderte), waren das jeweils die mit Abstand lustigsten Szenen, Gelächter war vorprogrammiert - trotz der eigentlichen Primitivität des Vorfallenden.

Der "Reigen" ist eine Satire, die durchaus auf ihre Art und Weise Format hat. Er ist ein Stück für solche, die keine schwachen Nerven oder religiös-sittliche Gefühle haben. Und er ist ein Stück für Humor-Fans, die auch der Meinung sind, wie wir von der Biwidus-Redaktion: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Prost!



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Schauspielhaus in Zürich.