zur Frontseite
Winterthur
15.4.1996

Theater

Karls neues kühnes Gassenschau-Programm

150 Jahre Bundesstatt

Züri lacht

Theater für Zürich

Lorenz Keiser: Aquaplaning

Andorra

Lysistrata

Clownschule Dimitris

Chin. National_zirkus

Theater der _Suchtprävention 96

Bremer Freiheit

Hanglage Meerblick

Schauspielhaus 1996

Eine _tierische Farm

Reizender Reigen

Blick zurück im Zorn

Massimo _Rocchi

Blickfelder

Bruno und Bruno

Die _Mausefalle

Ibsens _Wildente

Zwölf Leichen im Keller

Gedenkfeier für Eynar _Grabowsky

Girls in der Winkelwiese

Eine tierische Farm im Stadtgarten

Der Roman ist 1945 erschienen, früher noch als das fast bekanntere "1984". "Animal Farm" wurde zu einem der erfolgreichsten Polit-Satiren überhaupt und oft verfilmt oder zumindest adaptiert, z.B. auch von Erich Kaestner. Der Brite George Orwell, selber unabhängiger Marxist und betont antikommunistisch eingestellt, kämpfte mit diesem Roman vor allem gegen Stalin (resp. Lenin) und seine Schergen, die er vortrefflich mit Napoleon und seiner Schweinearmee parodiert hat. Die Handlung sollte eigentlich bekannt sein, ich möchte nur kurz zusammenfassen: die Tiere auf einem Bauernhof erheben sich unter der Führung der Schweine gegen den Gutsbesitzer und werfen ihn raus, der Hof wird zu einer Art autonom-tierischen Kommune. Aber mensch (resp. tier) merkt bald, dass das egalitäre Geschrei der den anderen physisch und psychisch überlegenen Schweine eine Lüge ist und dass diese schliesslich selber eine Klassengesellschaft aufbauen. Hier wurde das mittlerweile weltberühmte Motto geprägt:"Alle Tiere sind gleich - nur einige sind gleicher als die anderen." ("All animals are equal..."). Damit sind die Schweine gemeint. Sie wähnen sich schliesslich als Menschen und bauen eine regelrechte Terrorherrschaft auf. Dass dies nicht lange hält, sollte ja wohl klar sein.

Schweinereien
Orwell bewies mit dieser Fabel nicht nur den Sinn für die Satire, sondern auch sein politisches Gespür und die Fähigkeit, auch das Böse an sich zu verulken - und ihn (Stalin) dadurch auch zu einer öffentlich Witzfigur zu machen. Kein Wunder, war Orwell danach im Osten nicht mehr gern gesehen. Auch der Welterfolg des Politromans "1994" war dem ehemaligen Spanienkämpfer (auf seinen Erinnerungen basierte z.B. auch der Film "Land and Freedom") egal, er starb erbittert und frustiert über die Welt und seine Mitmenschen nur ein Jahr später in Einsamkeit. George Orwell (eigentlich Eric Arthur Blair) und "1994" gelten noch heute als Meilensteine der politisch engagierten und humanistischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Dabei geht das mindestens so wichtige "Animal Farm" oft vergessen, unverdientermassen notabene.

Das International Theatre Company London tourt zur Zeit mit einer Theateradaption von "Animal Farm" durch die Lande. Noch vor dem Zürcher Bernhard-Theater machte die Gruppe für nur eine Aufführung Halt im Winterthurer Theater am Stadtgarten. Da Biwidus sich bemüht, Winterthur und die hiesige Kultur enger in die Berichterstattung einzubinden, haben wir weder Mühe noch Kosten gescheut, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Auf deutsch: wir sahen uns das tierische Theater mal an. Adaptiert für die Bühne von Peter Hall, Worte von Adrian Mitchell, Musik von Richard Peaslee.

George Orwell
Auffallend war: Umgangssprache englisch. Kein Problem für weltoffene MTV-Seher wie uns. Nur fünf Darsteller waren auf der Bühne und setzten die für eine Adaption sicher nicht einfache Story genüsslich um. Ja, genüsslich ist wohl das richtige Wort dafür, denn die achtzigminütige Fassung der schweinischen Story schien mir wie ein Drahtseilakt zwischen Satire und einer Satire über die Satire. Von Anfang an wurde das Stück selbst sehr frei interpretiert, obschon einige Textstellen offensichtlich 1:1 übernommen worden waren. Regisseur Barry Goldmann und seine fünf Menschen (drei Männer und zwei Frauen) stellten alle Viecher, den Menschen und die Erzählperson gleichzeitig dar. Und sie hatten offensichtlich einen Heidenspass daran.

Oberschwein Napoleon
Der Ablauf war etwa wie folgt: auf einer fast nackten Bühne standen nur die allerwichtigsten Utensilien. Und nur wenige davon wurden wirklich benützt. Die fünf vollführten also so etwas wie ein Strassentheater in der ehrwürdigen Halle eines der grössten Theaterhäuser der Stadt. Tiere waren dabei keine zu sehen, die ProtagonistInnen wechselten einfach vorzu ihre Schwänze oder Nasen und somit ihre Art. So wurde das Problem gelöst. Auch waren die einzelnen Kapitel mehr Spielszenen, wie wir sie auch eben von Kleintheater her kennen, es wurde sehr viel geredet und sehr viel auch gestisch dargestellt. Zeitweise wurde das Stück mehr zu einem Musical. Die fünf DarstellerInnen waren auf eine besondere Weise überzeugend. Der Zuschauer (ich) spürte eine gewisse Distanz, wie wenn sie die Geschichte nicht einfach vorspielen, sondern einfach nachstellen wollten. Erzählte Passagen wechselten ab mit fast pantomimisch anmutenden, wo der Text eigentlich nur Kosmetik war. Und dabei hielten sie sich eigentlich ziemlich genau an die Urgeschichte.

Diese Adaption von Animal Farm hat durchaus seine Berechtigung, denn trotz der schwierigen Vorlage hat die Gruppe das satirische Stück ziemlich orginalgetreu umgesetzt. Dabei wurde einfach ein unorthodoxer Approach angewendet, der mich auf jeden Fall überzeugt hat. Den politischen Unterbau haben die Macher, nicht wie im Zeichentrickfilm, ziemlich beibehalten. Das ist der grosse Unterschied: dieses Stück hat eine Message!

Weitere interessante Aufführungen im Theater am Stadtgarten werden sein

Der Wildschütz von Lortzing (27.04 und 28.04)
Hanglage Meerblick von David Mamet (6.5. und 7.5.) und
Anatevka (12.5.-14.5.),
sowie die dazwischen stattfindenden Tanzsessions im Rahmen der "Steps 1996".

Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus Winterthur