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6.1.1996

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Girls in der Winkelwiese

Huren im Theater

Um Huren, in der Sprache der Political correctness nur als Prostituierte zu bezeichnen, ranken sich viele Gerüchte. Einige davon mögen wahr sein, andere sind es wahrscheinlich nicht. Was als ältestes Gewerbe der Welt einen abenteuerlichen und fast romantischen Touch hat, ist jedoch meistens pure Ausbeutung in einem patriarchalischen System, wo die Männer mit den Frauen tun können, was sie wollen, also sie auch als Ware behandeln. Prostitution ist ein weitreichendes Thema, dem doch etwas wie ein Tabu anhaftet, es gibt kaum eine Prostituierte, die öffentlich über ihre Arbeit berichtet. Auch sind es sehr wenige, die ihre Arbeit "gerne" tun, sie also als einen Beruf wie jeder andere betrachten. Die meisten von ihnen arbeiten aus einer Notsituation heraus, die sie zu einem schwachen Opfer und zum Instrument männlicher Begierde macht, zur Sklavin der verdinglichten Liebe. Die Frau als Objekt der Lust und der Ausbeutung ist dann auch das Thema des Theaterstücks "Girls", das letzten Samstag im Theater an der Winkelwiese Premiere hatte, vor ausverkauftem Publikum notabene.

Die Story ist alt und stammt aus den Achtzigerjahren von der Schauspielerin Caroline Kava, sie wurde mehrere Male verfilmt und mit der neuesten Version auch in die Mundart übersetzt. Inszeniert wurde die Aufführung an der Winkelwiese von Danielle Giuliani. Sie legt einen Finger auf den Teufelskreis, in dem Prostitution beginnt und endet. Nach der Premiere waren alle Aufführungen im engen Gewölbe des traditionsreichen Kleintheaters ausverkauft.

Die junge Bernerin Lily möchte das schnelle Geld in einem Sex-Salon verdienen und wendet sich an eine altgediente Prostituierte, die raffgierige Diane. Sie wird eingestellt und lernt das Handwerk von Grund auf. Sie lernt dabei auch die anderen kennen, ihre Arbeitskolleginnen. Die Eine, Jeanne, charakterisiert die Klischeenutte an sich, sie brach Studium und Ehe ab und verfiel dem Drogensumpf, sie kommt nicht mehr heraus, sie selbst bezeichnet sich als "Vorzeige-Junkie". Lily aber möchte in kurzer Zeit genug Geld verdienen, um für ihr Baby sorgen zu können. Also bumst sie sich regelrecht reich und wird die "Playmate" des Monats. Als sie zu tief in den Teufelskreis eingesogen wird, möchte sie aussteigen, was natürlich nicht so einfach ist, wie sie sich das vorgestellt hatte. Dabei findet sie eine Freundin in einem Umfeld, wo wahre Gefühle und wahre Freundschaft eigentlich fremd sind.

Das Stück spielt an sich in einem einzigen Raum, der Wohnküche des Salons, wo sich die Girls zwischen den Besuchen ihrer Freier treffen, wo ihnen trügerische Gefühle eines Heims und einer Familie gegeben werden. Hier können die Girls (von Mädchen kann nicht die Rede sein) sich ausruhen, sich sammeln, bevor fünf Minuten später der nächste Freier, der nächste Fick für Geld kommt. Wenn überhaupt, kann nur hier so etwas wie Menschlichkeit entstehen.

Sandra Moser als naive Neu-Nutte Lily überzeugt mehr mit ihrer Naivität, als mit einer speziellen Leistung. Auf ihre eigene Art wirkt sie frisch, hoffnungsvoll und optimistisch. Das Publikum stellt sich schnell auf ihre Seite, den die blutjunge Lily hat eine unschuldige Aura, etwas fast kindliches um sich, etwas, was befleckt zu werden droht. Auch dass sie dunkelhäutig und exotisch ist, scheint kein Zufall zu sein, denn gerade Frauen aus dem Trikont werden heute in diesem Geschäft zuhauf ausgebeutet und, weitaus schlimmer, erniedrigt. Jeanne dagegen versucht vergeblich, ihrem langweiligen Leben einen Sinn und eine Identität zu geben, offen zu sagen:"Das bin ich!". Sie ist trotzdem die einzige, die die Gefahr ihrer Arbeit erkennt, sie wehrt sich dagegen:"Was mier da machet isch dräckig und entwürdigend, aber mir sind no immer Mänsche!. Die drei anderen drei Frauen haben auch ihre Problemchen, die alle von der Tatsache ablenken, dass sie in einem Teufelskreis ohne Entrinnen stecken, an dessen Ende die Selbstaufgabe steht, der Verlust der Würde und der Identität.

Das Stück ist nichts für Voyeure, die nackte Haut und Sex sehen wollen, es spielt sich alles im Background ab. Es werden keine Klischees breitgetreten, sondern aufgezeigt. Immer wieder spielt man auch mit dem anrüchigen Flair dieser Welt. Sex ist allgegenwärtig, ja eine Selbstverständlichkeit. Und das Stück enthält sich auch eines offenen moralischen Urteils, dieses kann sich ein kritisches Publikum eh von selbst machen.

Offensichtlich hat Regisseurin Giuliani versucht, der entmenschlichten Thematik menschliche Züge zu verleihen, sie hat versucht, den Nutten (oder eben berufstätigen Frauen) wieder eine Würde als Mensch, und nicht zuletzt als Frau wiederzugeben. Ihr war es offenbar ein Anliegen, dass auch Huren Gefühle haben, wenige zwar, aber sie haben welche. Und diese Gefühle (z.B. in einen untreuen Freier, der Georgia Avancen macht) sind es, die aus den Liebesdienerinnen nur "berufstätige Frauen" statt Sklavinnen machen. Und das Gewerbe, das übrigens zu florieren scheint, zu einem Dienstleistungsunternehmen. Dieser Versuch ist ihr in diesem Stück gelungen, denn dem Problem der Entwürdigung dieser Frauen zu Sexualobjekten kann und muss sie nicht abhelfen. Alles in allem ein amüsantes Stück mit vielen Denkpausen, aber nichts, was mich an Engagement vom Stuhl gerissen hat. Vielleicht lag das auch daran, dass die Frauen nicht besonders anziehend und das ganze Umfeld zutiefst emotionsfeindlich waren.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) vom Theater an der Winkelwiese.