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Zürich
26.9.1996

Theater

Karls neues kühnes Gassenschau-Programm

150 Jahre Bundesstatt

Züri lacht

Theater für Zürich

Lorenz Keiser: Aquaplaning

Andorra

Lysistrata

Clownschule Dimitris

Chin. National_zirkus

Theater der _Suchtprävention 96

Bremer Freiheit

Hanglage Meerblick

Schauspielhaus 1996

Eine _tierische Farm

Reizender Reigen

Blick zurück im Zorn

Massimo _Rocchi

Blickfelder

Bruno und Bruno

Die _Mausefalle

Ibsens _Wildente

Zwölf Leichen im Keller

Gedenkfeier für Eynar _Grabowsky

Girls in der Winkelwiese

Des Keisers neues Programm

Also, zuerst hat er sich mal selber verarscht. Respektive seine nachfolgende Premierenparty. Ja, und dann ging es nach dem selben Prinzip weiter. Ein Rundumschlag gegen so alles, was so im Alltag an Wirtschaft über uns hineinbricht. Sei es jede Art von Werbung, seien es die komplizierten Verschachtelungen des weltweit operierenden Grosskapitals oder aber Tagesaktualitäten, bei deren Lächerlichkeit einem das Lachen im Hals steckenbleibt. Stichwort:"Eine Katastrophe folgt der anderen. Kaum haben sich Take That aufgelöst, schon ist die Rinderwahn ausgebrochen". Der Nachfolger des 1992er-Programms "Der Erreger" erfüllte dann auch die gesetzten grossen Erwartungen.

Besonders auffallend am zweistündigen Werbe-Programm ("eine neue Form von product- placement, nämlich negatives") waren die vielen Papiersäcke auf der Bühne, die eine grassierende Konsumsucht unserer Gesellschaft ausdrücken sollen. Dabei nimmt Keiser unverblümt die absurden Auswüchse der sogenannten "freien Marktwirtschaft" auf die Schippe - radikal und wortgewandt. Einerseits weist er beispielsweise auf die Bescheuertheit unserer Einkaufsgewohnheiten hin (Erdbeerenkauf im Februar), andererseits auf die totale Monopolisierungswut durch einige Grosskonzerne ("shareholder value" sei hier als Stichwort genannt). Auf die Frage, wen er eigentlich in zwei Stunden (auch von ihm nicht gezählter) Aufzählung von Firmen und Markenprodukten ungerupft gelassen habe, nannte er Unilever, nach den erwähnten Nestlé und Philipp Morris die Nummer drei der Welt. "Ich kann ja in zwei Stunden nicht alles machen." Immerhin aber einen Schnellkursus in Wirtschaftskunde.

"Die Kinder surfen auf dem Internet - der einzige, der schläft, ist der Babysitter", meinte er eingangs des Programms. Er, der selber auf dem besten Wege zum Internet ist, wie er auf Anfrage von Biwidus erzählte, war mit seinen Geschichten oft auf dem aktuellsten Stand. Ein "aktueller" Gag jagte den anderen. "Ich habe nach relativ kurzer Zeit das Tempo herunterschrauben müssen", gab er aber zu. Auch der städtische Kulturminister war nach der Aufführung seiner Meinung:"Die Schwierigkeit für ihn (Keiser) war, dass er von Anfang an auf einem sehr hohen Niveau war und dann Schwierigkeiten hatte, das durchzuziehen und nicht abzuflachen."

Von Abflachen kann nicht die Rede sein. Der Abend war sehr unterhaltend, obschon gerade im zweiten, dem politischen Teil das Mitkommen nicht so einfach, für Uneingeweihte gar recht schwierig war. Der "Glöckner von Domat-Ems" ist nicht für alle ein Begriff. Ein Vorwurf, dessen sich Keiser durchaus bewusst ist. "Ich will explizit, dass mein Programm auch für die, die diesen Informationsstand nicht haben, verständlich sind." Tatsächlich war das sonst immer kritische Premierenpublikum am Schluss ziemlich zufrieden gestellt, so auch die zahlreich anwesende professionelle Premierenpresse. Keiser meinte dann auch, dass er gerade mit Premierenpublika seine liebe Mühe habe und das durchschnittliche Volk vorziehe.

Ach ja, der Inhalt. Der Name ist ein Wortspiel und soll einerseits die Schlüpfrigkeit der Wirtschaft darstellen, die trotz aller Story ganz gehörig ihre Abreibung bekam. Der Wasser-Teil jedoch kommt von der Rahmenhandlung. Mit unzähligen Einschüben und Zwischenhistörchen erzählt er die Geschichte seines Freundes Marco, der - früher links bis zum Umfallen - jetzt ein Geschäft mit Marken-Mineralwasser eröffnet hat. Selbstauffüllungen "recyclierter" Flaschen allerdings. Und dazwischen allerhand amüsante Bekenntnisse, Personen und verworrene Flashbacks. Dabei schlüpft Keiser in die verschiedensten Persönlichkeiten, um den totalen Wahnsinn des fanatischen Kapitalismus aufzuzeigen. Und somit unseres Alltags. Gelungen, muss ich sagen.

Das Programm "Aquaplaning" von Lorenz Keiser ist vorläufig im Theater am Hechtplatz zu sehen - jeweils Dienstags bis Samstags um 20.30 Uhr. Am Sonntag um 19.00. Urteil: (unbedingt) sehenswert. Das Bild ist von Leonhard Zubler und wurde uns von Lorenz Keiser selbst zur Verfügung gestellt. Weil wir eine ehrenamtliche Gratis-Zeitung sind, gibt es auch kein Honorar - woher sollen WIR die hundert Franken nehmen?



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Theater Hechtplatz in Zürich