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7.3.1996

Theater

Karls neues kühnes Gassenschau-Programm

150 Jahre Bundesstatt

Züri lacht

Theater für Zürich

Lorenz Keiser: Aquaplaning

Andorra

Lysistrata

Clownschule Dimitris

Chin. National_zirkus

Theater der _Suchtprävention 96

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Eine _tierische Farm

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Blickfelder

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Gedenkfeier für Eynar _Grabowsky

Girls in der Winkelwiese

Blickfelder - Theater für junges Publikum

Es war schon sehr gross angekündigt worden, das 5. Theaterfestival für junge Leute, das sich mit dem Namen "Blickfelder" einer breiten Oeffentlichkeit präsentieren wollte. Auf acht Bühnen (darunter auch dem Schauspielhauskeller) haben junge Theaterschaffende für junge Leute Theater gespielt (oder tun's noch). 30 Theatergruppen aus ganz Europa zeigten der Jugend unserer Stadt ihr Können. Viele Vorstellungen auf den Off-Bühnen Zürichs waren ausverkauft. Wir von Biwidus liessen uns nicht lumpen, denn die Jugendkultur ist unser höchstes Anliegen. Wir haben ein Highlight aus dem Programm herausgepickt und haben es uns angeschaut. Ort des Geschehens: die Aktionshalle der Roten Fabrik, Zeit 20.00. Wir schreiben den Tag 2 der Blickfelder.

In der schnell mal vollen Aktionshalle trat eine Gruppe des Theaters im Werftpark Kiel auf. Das Publikum konnte Einblick nehmen, souverän geführt von der Regisseurin Franziska Steiof, in das Leben der drei Geschwister Bronte. Eine davon, Emiliy Jane Bronte, schrieb vor Jahrhunderten "Wuthering Heights" (Sturmhöhen - deshalb der Titel) und schuf damit ein Denkmal der britischen Frauenliteratur. Auch Charlotte, ihre Schwester, gilt noch heute als eine der meistgelesensten KlassikerInnen der Weltliteratur ("Jane Eyre"). Doch das Theater im Werftpark zeigte die Bronte-Sisters in ihrer natürlichen Umgebung, ohne die Sturmhöhen wirklich zu heiligen. Das Stück stammte von Susanne Schneider.

In einer britischen Moorlandschaft des 19. Jahrhunderts wachsen die Pfarrerstöchter Emily Jane, Charlotte und Anne Bronte in völliger Isolation auf. Sie vertreiben sich die Zeit mit Langeweile, Nähen, Schreiben und Träumen, sie scheinen keine Zukunft zu haben. Trotzdem oder gerade deshalb werden die drei sich ziemlich kindisch aufführenden Frauen zu begnadeten Schriftstellerinnen, die, getrieben von Sehnsucht, Meilensteine der Weltliteratur verfassten. Aber die Autorin Sunsanne Schneider zeigt die Frauen mit ihrer wahren Natur. Anne ist hoffnungslos und schliesslich auch erfolglos verliebt, die gestrenge Charlotte betrügt sich selbst mit ihrem Ehrgeiz und dem Verlangen nach dem Unerreichbaren. Und die quirlige Emily Jane, die verwirrteste der drei, wächst auf in einem wilden, naturbezogenen, makabren und weltfremden Traum. Die drei Frauen haben Träume, die sich in einem ungreifbaren und das Blaue vom Himmel herunterversprechenden Traummann (dem "Phantom") gipfeln. Er ist das einzige männliche Wesen im ganzen Stück.

Silvia Kunstwart, Christine Passow und Meike Siems haben ihre Rollen offensichtlich verinnerlicht, die Regisseurin Franziska Steiof spielt sehr intensiv mit Gefühlen, die karikaturhafte Freude und düsterste Trauer vereinigen können. Besonders witzig werden die Szenen interessanterweise dann, wenn die drei Schwestern regelrecht herumgifteln. Ihre Darstellung ist mit einem Wort ausdrucksstark, es ist eine Freude, ihnen zuzusehen. Ihre Sehnsucht prägt das Stück. Und Sehnsucht sei, so Franziska Steiof gegenüber Biwidus, die Triebfeder allen Schaffens. Sehnsucht werde grösser, je weniger mensch leben könne. Es herrsche eine grosse Diskrepanz zwischen dem Alltagsleben der Brontes und ihren Wünschen an ihr Leben. Die Sehnsucht sei auch für sie selbst zu einer Triebfeder geworden. Sehnsucht trage hinaus, was sein solle. Sie arbeite deshalb auch gerne mit Jugendlichen, denn diese haben einen leichteren Zugang zur Sehnsucht als die Erwachsenen.

Das Stück hat eine atmosphärische Dichte, die durch das überragende Spiel der Frauen ergänzt wird. Langsame, besinnliche Passagen wechseln ab mit sehr schrillen und fast überbordenden Szenen. Es erzählt in einfacher und neuzeitlicher Sprache aus dem Leben der Sisters. Schon das lange Anfangsbild spricht Bände. Die Schwestern sitzen in minutenlanger absoluter Ruhe an ihren Stehpulten und regen sich nicht, Langeweile und eingefrorene Ruhe ist angesagt. Auch das Dekor ist sehr karg. Ausser den Stehpulten und einem Wandschrank ist eigentlich nichts zu sehen. Wieder bezeichnend sind die Musikpassagen, die in einem Remake eines Kate Bush-Videos durch Emily gipfeln. Der Soundtrack ist sicher eine der grossen Stärken des Stückes. Verstärkt mit Einspielungen von Wind und Dudelsackpassagen ist der Sound ein tragendes Element. Angetan war ich auch von den Orginalzitaten, die auch in der Szene mit dem Geschichtenerzähl-Wettbewerb unter den drei Schwestern mitklangen.

Die drei Schwestern sterben alle drei sehr früh, nur Charlotte wird mit 30 Jahren etwas älter. Sie versauern buchstäblich im Moor. Gerade deshalb ist dieses Stück für Jugendliche gemacht, die Träume junger Frauen seien zeitlos, ist die Message. Das Eingeschlossensein, die Einsamkeit sei bis heute ein Bestandteil ihres Lebens. Aber auch der ewige Neid und die Missgunst unter Frauen (gerade in Bezug auf Männer) wird spielerisch dramatisiert. Weibliches Erleben wird zum Motiv, die Selbstverständlichkeit des Alltages zu einem Instrument.

Die Regisseurin Steiof möchte jedoch unterstreichen, dass "Sturmhöhe" nicht nur ein Stück für Frauen ist, sondern für junge Leute allgemein. Und es waren auch etwa gleich viele Männer wie Frauen in der Aktionshalle zugegen. Das Stück avancierte in der Berliner Off-Theater-Szene zum Grosserfolg. Wir hoffen, dass es auch in Zürichs Blickfeldern erfolgreich sein wird. Uns jedenfalls hat es sehr gefallen. Das ist intelligente Unterhaltung, wie mensch es in der zeitgenössischen Theaterszene fast nicht mehr findet.

Weitere Highlights der Blickfelder waren, sind und werden sein (noch bis am 24.3.):

  • die "Memphis Brothers" (vom 11.3. - 14.3. in der Aktionshalle)
  • "Heute abend Lola Blau" vom jüdischen Staatstheater Bukarest (11.3 - 15.3. im Theater am Hechtplatz)
  • Ibsens "Peer Gynt" (21.3. - 23.3. in der Schauspielakademie)

Neben den normalen Theateraufführungen organisiert der Jugendtheaterverein ASTEJ ein 17-Uhr Apero (FR 15.3., DI 19.3. und FR 22.3.) im Festivalzentrum beim Kitz-Theater an der Gessnerallee 13. Hier treffen sich die KünstlerInnen und Interessierte zu einem gemütlichen Beisammensein. Für das leibliche Wohl ist dabei gesorgt. Und hin und wieder zeigen die Gruppen auch die Hintergrundstories ihrer Arbeit - ein Leckerbissen für Theaterfans.

Der Vorverkauf ist im BIZZ auf dem Werdmühleplatz.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus der Roten Fabrik.