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Bern
9.11.1996

Drogen

Coop-Hanf-Tee

Vom Hanf-Skandalprozess

Kiffertypen

Zigis (oder anderes) drehen

ZH, BL und SO meinen: Legalisieren!

Heroinabgabe

Jugendsession 96

Expovina 96

Drogendatenbank

Weinernte 95

Suchtprävention 1996

Hanffestival

Alkohol- Konditionierung

Bex 96

Süchtige Jugend(session)

Heutzutags schreit kein Hahn mehr danach - und niemand hört davon, aber wie schon letztes Jahr wurde der ehrwürdige Saal des Nationalrates von Leuten - aktuellen oder zukünftigen BürgerInnen - besetzt, die dort sonst nichts zu suchen haben: von uns Jugendlichen. Einmal mehr, das fünfte Mal, hiess es: Jugendsession, diesmal zum Thema Sucht und Drogen. 200 Jugendliche aus der ganzen Schweiz wurden ausgewählt, um drei Tage lang zu debattieren und sich zu diesem Thema mit Forderungen an den Bund zu äussern.

Lange hatte mensch sich in der Bewegung gedrückt, sich mit dem Thema Drogen zu beschäftigen. Es lag immer die Angst in der Luft, dass mensch einmal mehr von den Erwachsenen mit dem Thema identifiziert wird. Nun, 1996, nachdem die offenen Szenen "aufgelöst" worden sind und die drogenpolitischen Initiativen "Jugend ohne Drogen" und "Droleg" anstehen, hat das OK das Thema wieder der Schublade entnommen. Und prompt meldeten sich hunderte von Jugendlichen an. 200 von ihnen wurden nach einem Quotenprinzip repräsentativ ausgewählt.

Am Donnerstag traf mensch sich in den jeweiligen Gruppen, die sieben Unterthemen besprechen mussten. So konnten verschiedene Ansätze und Teilbereiche der komplexen Thematik abgedeckt werden. Zuerst lernte mensch sich kennen, gerade in diesem sehr emotionalen Thema war das wichtig. Sofort gingen die Gruppen dann auf die beiden Initiativen ein, mehrheitlich kamen sie zum Schluss, dass die Jugendsession zu den Vorlagen eine Stimmempfehlung abgeben soll. Nach dem Abendessen gingen die Gruppen mit ihren LeiterInnen in den "Ausgang" - das zum Thema Drogen und Sucht.

Im Hintergrund lief währenddessen noch einiges ab. Auf einen Hinweis einer Teilnehmerin hin, stellte das OK fest, dass das reaktionären Kreisen und dem VPM (Verein für psychologische Menschenkenntnis) nahestehende Komitee "Jugend ohne Drogen" den Teilnehmenden Propagandamaterial zugeschickt hat, ohne das OK zu fragen. Dieser unfaire Akt war wohl nur möglich mit Hilfe von TeilnehmerInnen, die mit dem Komitee zusammenarbeiten. Das OK informierte die jungen Leute und distanzierte sich entschieden davon. Es wurde ein Protestbrief angekündigt.

Am nächsten Morgen kam mensch trotz des Ausgangs und der entsprechenden Folgen wieder zusammen und raufte sich über Vorschläge für Forderungen zusammen. Es gab immer wieder gute Ideen und Ansätze, aber schliesslich und endlich musste auch ein bisschen Demokratie geübt werden. Die einen mussten andauernd gebremst werden, die anderen aus der Reserve gelockt, es gab einiges zu tun für die jungen Gesprächsleitenden. Die Vorgabe war klar: Forderungen für das Plenum vom Samstag zu erstellen. Zum Teil musste dafür ein Kaiserschnitt angewendet werden, aber schliesslich gelangs doch den meisten AGs.

Am Freitagabend war Fest angesagt. Zum fünften Jahrestag der Session wurde eine kleine Fete organisiert, wo drei Newcomer-Bands aus den Sprachgebieten und ein DJ auftraten. Na ja, das Fest an sich war ganz fein, hat aber anscheinend niemanden aus den Schuhen gehauen. Währenddessen arbeitete eine Abordnung des OKs fleissig an den Forderungen und übersetzte die von den Jugendlichen eingebrockte Suppe. Ein Minimumrekord in Sachen Forderungen in der fünfjährigen Sessionsgeschichte waren die Folge. Einmal mehr bewiesen die Jugendlichen, dass sie trotz aller guten Stimmung seriöse Arbeit zu leisten in der Lage sind.

Ausgeschlafen ging mensch den entscheidenden Samstag an. Die aus fünf Leuten bestehende unerlaubte Kasperlitheater-Demonstration der wahlkämpfenden Jung-SVP wurde von den SessiönlerInnen weitgehend ignoriert oder bestenfalls als Kuriosum belächelt, zu mehr hatte mensch einfach keine Zeit. Die letzten Vorbereitungen wurden noch in der Minute vor dem Plenum im Nationalratssaal abgeschlossen, die Arbeitsgruppen erarbeiteten Gegenanträge zu den eingegangenen Petitionen und Resolutionen, das OK versuchte, den Nachmittag minutiös zu strukturieren. Die drei ComoderatorInnen begannen die Session pünktlich, Frau Bundesrätin Ruth Dreyfuss hielt im Namen des Bundes und des Innenministeriums die Eröffnungsrede.

Der Reihe nach wurden 21 Petitionen und Resolutionen behandelt und 17 davon zuhanden der Bundesversammlung und anderer Institutionen verabschiedet. Dabei stachen einerseits die sehr realistischen Forderungen ins Auge, z.B.für familienfreundliche Arbeitsmodelle, für die kontrollierte Abgabe harter Drogen an Schwerstsüchtige und gegen eine totale Legalisierung hervor. Besonders eindrücklich waren die überwältigende Mehrheit für die Legalisierung von Besitz, Handel und Konsum von weichen Drogen (insbesondere von Cannabisprodukten) für den Eigenbedarf und die noch viel deutlichere Ablehnung der Volksinitiative "Jugend ohne Drogen". Die Droleg-Initiative genoss dafür grosse Sympathie, wenn sie auch knapp bei vielen Enthaltungen als zu extrem abgelehnt wurde.

Die Jugendlichen politisierten zwar frisch, aber dennoch seriös und verantwortungsbewusst. Immer wieder wurden Statements für einen vernünftigen Umgang mit der Problematik mit Applaus begrüsst. Tendenziell war mensch zwar sehr liberal eingestellt, sicher eher auf der Seite der Droleg, unterstützte aber aus pragmatischen Gründen dennoch weitgehend die Linie von Bund und BAG, also das sogenannte 4-Säulen-Prinzip (Repression, Therapie, Prävention und Ueberlebenshilfe). Dazu kam eben noch die Legalisierung der vom Bundesgericht als weniger gefährlich als Alkohol eingestuften Cannabisprodukte Gras und Shit (Marihuana und Haschisch).

Die pragmatische Linie der Jugendlichen beschrieb die Aargauer Zeitung mit "Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach". Diese Philosophie verfolgt die Jugendsession seit längerem. Dies entspricht auch den Signalen, die die OrganisatorInnen auch immer wieder von den "erwachsenen" ParlamentarierInnen erhalten haben: solange sie sich den Spielregeln im Parlament anpassen und realistische, sinnvolle Forderungen stellen, solange können diese durchaus auch von unterstützenden VolksvertreterInnen auch eingereicht werden. Und gerade die diesjährigen Forderungen lassen nichts an Seriosität und Inhalt vermissen. Zumindest, wenn mensch einkalkuliert, dass hier unerfahrene Jugendliche nur 2 1/2 Tage dafür Zeit gehabt haben.

Die Forderungen wurden an Nationalrats-Vizepräsidentin Judith Stamm CVP/LU übergeben die sich überrascht zeigte von der Substanz von Inhalt und Diskussion. Einerseits seien die Forderungen durchaus wohl überlegt und nachvollziehbar, andererseits zeugen sie aber dennoch von einer gewissen Vision einer menschennahen Drogenpolitik. Offenbar war sie auch überrascht von der Position der Mitte, die die Drogenpolitik des Bundes unterstützt, dies sei für sie als Parlamentarierin eine Bestätigung der Jugend für die bundesrätliche Drogenpolitik.

Der Sinn und Zweck der Jugendsession kann einmal mehr als erfüllt gelten. Sehr intensiv und den Umständen entsprechend substanziell konnten die von der sonstigen Politik unabhängigen Jugendlichen über Sucht- und Drogenpolitik diskutieren. Sie fühlten sich durch die Anwesenheit von Bundesrätin Dreyfuss und Nationalrätin Stamm in ihrer Arbeit bestätigt und hatten nebenbei einen Heidenspass. Die Jugendsession konnte einen Erfolg auf der ganzen Linie verbuchen, da die Oeffentlichkeit ihren berechtigten Anliegen Gehör geschenkt hat und sie Akzente in der schweizerischen Drogenpolitik setzen konnte. Zumindest konnte sie zum ersten Mal die Meinung der direkt betroffenen Jugendlichen zum Thema Sucht und Drogen kundtun und somit den MachtträgerInnen in diesem Staat zeigen, was diejenigen davon denken, die diese Politik primär ausbaden müssen. In diesem Sinne: auf ein weiteres und: "Legalize it!"

Weitere Infos können der leider nicht besonders aktuellen Info-Page der Jugendsession entnommen werden. Demzufolge sind auch die hier verwendeten Bilder nicht aktuell, da die angekündigten Pics auf dem Web bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe leider auf sich warten liessen, schlechte Noten also für die Zuständigen. Auf alle Fälle stammen die hier verwendeten Aufnahmen wie immer aus dem Archiv unseres Hauptsponsors RTV Multimedia AG und wurden anlässlich der Jugendsession 1995 von der offiziellen Videogruppe produziert.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus Bern