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Zürich
19.11.1996

Drogen

Coop-Hanf-Tee

Vom Hanf-Skandalprozess

Kiffertypen

Zigis (oder anderes) drehen

ZH, BL und SO meinen: Legalisieren!

Heroinabgabe

Jugendsession 96

Expovina 96

Drogendatenbank

Weinernte 95

Suchtprävention 1996

Hanffestival

Alkohol- Konditionierung

Bex 96

Heroinabgabe

Eine menschenverachtende Schlammschlacht

Abstimmungsvorlagen sind meistens langweilig und für uns als Internet-Magazin kein Thema. Aber hie und da denken wir, dass wir über unseren Schatten springen und Stellung beziehen müssen. Im Falle der stadtzürcherischen Abstimmung (auch in Winti geht es um dasselbe Thema mit derselben parteipolitischen Konstellation) über eine zweite Versuchsphase der kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstsüchtige fällt uns das ziemlich einfach. Es gibt nämlich kein vernünftiges Argument dagagen.

Wir überzeugten uns davon an einer kontradiktorischen Podiumsdiskussion im Kaufleuten (sic!), die von den städtischen Grünen (sic!sic!) organisiert worden ist (welch ein Wunder, ist doch die zuständige Sozialministerin - Monika Stocker - eine Parteigenossin). Obschon prominent besetzt und an einem interessanten Ort durchgeführt (samt anschliessender Party) waren die ZuschauerInnenränge doch ziemlich licht - etwa zwei Dutzend Leute nahmen sich an diesem Samstagabend Zeit dafür. Das Podium wurde von GP-Stadtpräsi Martin Abele meist nüchtern, aber auch mit zum Teil provokativ ironischen Zwischenfragen geleitet.

Die Gäste konnten namhafter nicht sein. Neben der grünen Gemeinderätin und Sozialarbeiterin Katharina Prelicz-Huber sass der Arzt André Seidenberg von der ARUD (Arbeitsgemeinschaft für einen risikoarmen Umgang mit Drogen) und der städtische Drogendelegierte und Leiter der Abgabeprojekte "Lifeline" und "Crossline", Ueli Locher, der als oberster Drogenfachmann der Stadt gilt. Er vertrat quasi seine Vorgesetzte Stocker. Ihnen gegenüber sassen zwei prominente Vertreter der SVP, der als Megaschnurri berüchtigte Emil Grabherr (derjenige, der ohne Argumente gegen die Wohngenossenschaft Karthago und den muslimischen Friedhof in Altstetten gekämpft hat) und sein politischer Zögling und Möchtegernpolitiker Mauro Tuena, der Schrecken aller vernünftigen Jugendlichen.

"Um was geht es eigentlich?", muss zuerst mal gefragt werden. Denn kaum wurde bisher in einer Abstimmungsdiskussion so am Thema vorbeigeredet wie in diesem Fall. Also, die Sache ist die: die Stadt Zürich beteiligt sich als prominentestes von 14 Mitgliedern seit zwei Jahren an den eidgenössischen Heroinabgabeprojekten (insgesamt mit etwa 800 TeilnehmerInnen). In zwei städtischen und einem privaten (ARUD) Projekt wird etwa 300 Schwerstsüchtigen (definiert als Abhängige mit mindestens zehnjähriger Drogenkarriere und zehn missglückten Ausstiegsversuchen) täglich reines "H" zum Selbstkostenpreis (i.e. 15 Franken) abgegeben, die in einem Gassenzimmer unter ärztlicher Kontrolle eingenommen werden müssen. Die Stadt (resp. der Verein ARUD) übernimmt dabei die Kosten für die Infrastruktur und die ärztlich-polyklinische Betreuung. Das Ziel ist ganz klar die Stabilisierung der Lebensumstände (Wohnsituation, soziales Leben und Arbeits- resp. Finanzlage) der Schwerstsüchtigen. "Sie sollen mehr Zeit und Energie bekommen, sich um sich selbst zu kümmern", meinte Locher, anstatt dass sie den täglichen Kampf um den Stoff führen müssen.

Und eben um diese Betreuung geht es. Sie kostet pro KlientIn etwa 50-60 Franken, das sind die ca. 5 Millionen, die der Gemeinderat für eine Weiterführung dieser Projekte beantragt hat. Genau genommen sind es 2.5 Mio., denn den Rest bezahlen Bund und Kanton. Nun hat die SVP gegen diese Vorlage mit fadenscheinigen Argumenten das Referendum ergriffen. Die 15 Franken, die die Süchtigen selbst bezahlen müssen, beinhalten Produktion und Verteilung der täglichen Dosis. Vor und nach der Lettenräumung waren die Grammpreise konstant etwa 80-100 Franken, wobei der Stoff dabei nur etwa 10-20% Reinheit hatte.

Wo liegt nun das Problem? Drogenexperte Ueli Locher meinte anfangs der Diskussion, dass er den Eindruck bekommen habe, dass es um viel mehr ginge, als es wirklich geht. Es gehe nämlich nicht um irgendeinen Eingriff in die Betäubungsmittelgesetzgebung oder gar um die Legalisierung. Die SVP behauptet, dass die Versuche gescheitert seien und dass alle Suchtkranken durch den Staat zum Entzug gezwungen werden sollen. Sie benützt dabei zwar offiziell erhärtetes Zahlenmaterial, aber sie kehrt dabei die Realität in ihr Gegenteil um. Beispielsweise meinte - oder besser - fuchtelte Tuena, dass die Quote von etwa 5% "Ausgestiegenen" aus diesem Projekt ein Misserfolg seien. Dabei entspricht diese Zahl exakt der wissenschaftlich erwiesenen "möglichen" Erfolgschance, da nur etwa 4-6% der Schwerstsüchtigen überhaupt zu einem Ausstieg fähig sind, weshalb die Ausstiegsquote im Prinzip fast 100% entspricht.

Eine weitere statistische Lüge der SVP sind angebliche 54-83% der Teilnehmer, die trotz Abgabe weiterhin illegal Drogen (Coci) konsumieren. Auch diese Zahlen wurden in ihr Gegenteil gekehrt, denn 83% war die Zahl der PolytoxikomanInnen am Anfang des Programms. Sie konnte im weiteren Verlauf auf 40-50% (gemäss Ueli Locher) bei den städtischen und 30-35% bei der ARUD gesenkt werden. Eine SVP-Lüge mehr also. Noch so ein Fall ist die menschenunwürdige und schlicht falsche Behauptung Fuchtel-Tuenas, dass die ProjektteilnehmerInnen "Gratisgift, Gratiswohnungen und wasweissichalles" erhielten. Die Drogen und die Begleitmassnahmen seien von Fürsorge und IV-Geldern bezahlt. Locher konterte - sichtlich ungehalten über so viel Blödsinn - dass jeder Bürger und jede Bürgerin von Gesetzes wegen Anspruch auf soziale Unterstützung habe.

Die SVP behauptet, dass, wenn man den Suchtkranken den Stoff vorenthält, sie eher bereit zum Ausstieg sind. Das ist natürlich blanker Unsinn, ist doch der Schwarzmarkt nicht einmal mit den Abermilliarden, die man bisher in die Repression gesteckt hat, auszurotten. Der Stoff wird nur immer schlechter und teurer und die Mafia dabei reicher. Ob absichtlich oder nicht, die SVP unterstützt damit die Drogenmafia, denn bei der staatlichen Drogenabgabe kann niemand Profit ziehen (die SVP also auch nicht). Uebrigens ist auch das Argument der Populisten kreuzfalsch, dass die ProjektteilnehmerInnen nur dadurch stabilisiert wurden, weil der Staat ihnen Arbeit und Wohnungen "geschenkt" hat, wie sich Tuena ausgefuchtelte. Das Umgekehrte ist der Fall: durch ihren Ausstieg aus der Gasse mittels Abgabe wurde ihnen wieder die Möglichkeit gegeben, ein einigermassen normales soziales Leben und Umfeld zu schaffen und vielleicht sogar einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die Reintegration von aus der Gesellschaft Ausgestossenen und die Verbesserung ihrer gesundheitlichen Lage als vornehmlichste Ziele wurden also erreicht.

Und so weiter, und so fort. Die beiden SVPler brachten die ganze Zeit Aepfel und Birnen durcheinander. Sie argumentierten mit falschen Zahlen und vor allem ohne nachvollziehbare Argumente. Am Schluss meinte ein Zuschauer trocken, dass er die beiden schlicht nicht ernst nehmen könne, da sie nur immer gegen etwas seien und eigentlich nie einen vernünftigen Gegenvorschlag gebracht haben. Das stimmt auf jeden Fall, denn das einzige Rezept, das Grabherr (Raucher von drei Schachteln filterlosen Gauloises) und Tuena hatten, war der zwangsweise Ausstieg (wobei Grabherr den Suchtkranken ein paar Tage oder Wochen Frist geben möchte - wie grosszügig!). Dass dabei nur noch etwa 5% der Schwerstsüchtigen das psychologisch durchhalten können, ist ihnen dabei eigentlich ziemlcih egal. Und dass die Zielgruppe der Abgaben eben jene sind, bei denen keine Alternative mehr besteht (z.B. wegen HIV) auch. Grabherr gab sogar zu, dass man den ganz schlimmen durchaus noch ihr H geben könne, bevor sie sterben....

Der sprichwörtliche SVPsche Zynismus schlägt bei dieser Diskussion also alle Rekorde. Während alle Parteien (sogar die rechtsgerichteten FDP und SD) hinter der Vorlage stehen, machen die Blocheristen Wahlkampf auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft. Die Zürcher Partei hat also sozusagen diese Thematik zu ihrer Kampagne 1996 erkoren, mit all diesen verschissenen und menschenfeindlichen Plakaten der SVP-Hausfirma Aebi, die wir gewohnt sind. So nicht, meine Herren! Vor allem, weil Megaschnurri Grabherr einerseits behauptet, dass er nicht wegen finanziellen Gründen dagegen ankämpfe, aber trotzdem immer wieder das Geld bemüht. Ich meine, ganz abgesehen davon, dass jede Form von staatlicher "Abgabe" die Gesellschaft günstiger kommt, als die heute noch verbreitete Repression.

Und weil er am Schluss verklausuliert zugab, dass er durchaus bereit ist, eine Heroinabgabe an Schwerstsüchtige zu befürworten, wenn diese das konkrete Ziel des Ausstiegs hat. Dies ist ja auch der Fall, denn zumindest diejenigen, die ausstiegsfähig sind, werden von den Projektleitern dazu angehalten. Insofern zeigt es sich, dass sich die Blocher-Partei nur aus politischen Gründen zu diesem Kampf stellt - einmal mehr unterstützt von jenen Kreisen der Bevölkerung, die so dumm sind, dass sie für vernünftige Argumente keine Zeit oder keine Lust haben. Typisch SVP. Und mit der Legalisierung - einem verbreiteten SVP-Scheinargument - hat die Sache nichts zu tun, ist es doch ein Grundpfeiler der offiziellen Bundespolitik, die Ueberlebenshilfe für Schwerstsüchtige zu garantieren. In diesem Sinne: ein vernünftiges "Ja!" für die Weiterführung der Abgabeprojekte in der Stadt Zürich und in der ganzen Schweiz.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus Zürich