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26.3.1996

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Contrat social im Zürcher Naturschutz

Etwa ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten im Kanton Zürich sind entweder ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Dies haben Untersuchungen im Rahmen des neuen kantonalen Naturschutzgesamtkonzepts ergeben. Es ist in letzter Zeit immer schwieriger geworden, die noch vorhandenen natürlichen und naturnahen Lebensräume zu erhalten, denn die Zubetonierung von Lebensraum schreitet unaufhaltsam voran. In den Achtzigerjahren wurden im Kanton Zürich beispielsweise 300 ha/Jahr überbaut. Diese stärkere Beanspruchung bedeutet sowohl hohen Lebensraumverlust, als auch den Verlust der ohnehin nicht besonders grossen Artenvielfalt. Im Bewusstsein des wirtschaftlichen Fortschritts wurde schon im Jahre 1912 das erste kantonale Naturschutzkonzept erlassen. Der Zweck war es, naturnahe Gebiete der Ueberbauung zu entziehen. Bisher hat der Naturschutz bei uns auch trotz wirtschaftlichen Entwicklung eigentlich die Bewährungsprobe bestanden, vorläufig noch.

Aber nicht mehr lange, wenn sich nichts daran ändert. Das war wohl der Grundgedanke, als 1988 eine Arbeitsgruppe für eine Neuformulierung des Naturschutzkonzeptes im Kanton Zürich eingesetzt wurde. Ihre Ziele, gesteckt von der Regierung, waren klar: wie kann der heute noch vorhandene naturnahe Lebensraum auch über die Jahrtausendwende gerettet und eventuell sogar erhalten werden? 1992 lieferte die eingesetzte Gruppe den Entwurf für ein neues Konzept ab. Er stiess auf grundsätzlich postives Echo. Aber es gab auch Kritik. Die gezogenene Bilanz war ganz klar: Naturschutz kann nicht vom Staat verordnet werden, vielmehr können nur partnerschaftliche Naturschutzanstrengungen aller interessierter und beteiligter Kreise unsere Flora und Fauna langfristig erhalten. In der Folge wurde für 900'000 SFr.- das Naturschutzgesamtkonzept des Kantons Zürich in Auftrag gegeben.

Baudirektor Hoffmann umriss die Notwendigkeit dieses neu-alten Konzepts anlässlich einer gut besuchten Medienveranstaltung wie folgt: "Wir sind an einem Punkt angekommen, wo eine neue Pionierleistung erbracht werden muss." Um diese immense Leistung (nämlich die Erhaltung der verbliebenen naturnahen Räume im Kanton) zu gewährleisten, wurden viele Institutionen und Organisationen in die breite Diskussion einbezogen. Angefangen von vielen kantonalen Verwaltungsstellen über Forschung und Naturschutzverbände bis zum Bauernverband, alle waren sie um ihre Meinung zum Thema gefragt.

Die klar formulierten Ziele waren:

  • Artenschwund stoppen
  • Artenvielfalt erhalten
  • Rollende Kontrolle mit minimalem Aufwand (WIF!)
  • Betrachtung der Naturschutzaufgaben unter ganzheitlichem Gesichtspunkt

Die Säulen des Vorgehens sollen die folgenden sein:
Partnerschaft,
Subsidiarität,
Rollende Planung,
Anreize an alle Beteiligten.

Alle waren sie für den Naturschutz, aber alle hatten ihre eigene Vorstellung davon, die ja nicht mit ihren eigenen Interessen kollidieren soll. So wurde die Zustimmung der Bauern damit erkauft, dass sie einen Hauptteil der budgetierten maximal 75 Mio. SFr.-/Jahr (davon 50 Mio. durch den Kanton finanziert) dafür erhalten sollten, dass sie ihre Bauernsame naturnah bewirtschaften. Die Umweltverbände mussten eh ja und amen dazu sagen, obschon sie sich den Mund nicht verbieten lassen möchten. Aufgrund des immensen Schuldenbergs des Naturschutzfonds aber war Schweigen durchaus angebracht. Die exekutiv handelnden Gemeinden schliesslich scheinen von der Idee nicht besonders begeistert zu sein, denn der Vertreter des Gemeindepräsidentenverbandes stellte sich, weil abwesend mittels Referatstext, mit viel Pathos hinter das Konzept und pries wortgewaltig den Nutzen der Natur für die Menschen. Dabei waren seine Sätze nichts als Binsenweiseheiten. Seine Aufgabe, über die konkreten Möglichkeiten, Sorgen und Freuden der 171 Zürcher Gemeinden im Bezug auf die Umsetzung zu informieren, nahm er nicht wahr. Die einzigen konkreten Sätze seines Referates waren:"Die Chancen und Möglichkeiten der Gemeinde liegen im konkreten Suchen nach gemeinsamen Lösungen im vertrauten, überschaubaren Raum. Mit dem Engagement und der Mitarbeit aller Einwohner und Einwohnerinnen kann der Naturschutzauf Gemeindeebene als gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werden." Politik.

Beteiligte Forscher unterstrichen dagegen deutlich, dass der naturnahe Lebensraum im Kanton in den letzten Jahren nicht "abgenommen", sondern regelrecht "zusammengebrochen" sei. Mit dem neuen Konzept soll eben dieser Trend rückgängig gemacht werden. Das ist auch mehr als nötig, den das angestrebte "erhalten" geht von der Tatsache aus, dass heute 3'300 ha (4% der Kulturlandfläche) naturnahe Flächen bestehen. Ein Minimum von 11'000 ha (13%) wäre notwendig.

Das neue Konzept soll, als Pionierleistung, dieses "erhalten" zum Ziel haben. Allerdings wurden weder an der Presseorientierung, noch im verteilten Text des Naturschutzgesamtkonzeptes konkrete und greifende Massnahmen verlangt. Es hiess ja, dass der freiwillige Beitrag das A und O des neuen Konzeptes sei. Es soll vielmehr eine Richtlinie sein für Kanton, Gemeinden, die beteiligten Organisationen und Private. Das heisst, dass jedeR nach Gutdünken Naturschutz betreibt. Ein löbliches, aber gefährliches Ansinnen.

Der interessierte Zuhörer/die interessierte Zuhörerin erhielt an diesem langen Morgen den Eindruck, dass die Kantonsregierung den Weg aus dem Schlamassel mit einem Jahrhunderte alten Werkzeug demokratischer Entscheidungsfindung gehen will, nämlich dem Gesellschaftsvertrag (auf französisch eben "contrat social"). Hier unterschreiben alle beteiligten Mitglieder einer Gesellschaft (also auch alle Hierarchiestufen und politische Gegner) einen symbolischen Vertrag, der den kleinsten gemeinsamen Nenner beinhaltet und für alle ein zu erreichendes Ziel sein soll. Nicht mehr. Und schon gar nicht mittels Zwang. Kantonsplaner Gabathuler beschwor dann auch die anwesenden Journis (und somit das Volk) fast auf Knien: "Der Naturschutz im Kanton sollte in der Zukunft nicht 20 (Beamte; Anm. d. Red.), sondern 1.2 Mio. Mitarbeiter haben, alle sollen daran beteiligt sein". Na, ob das gelingt? Viele KöchInnen verderben den Brei, wenn sie alle etwas anderes kochen möchten. En Guete.

Die Bezugsquelle für das "Naturschutz-Gesamtkonzept für den Kanton Zürich" ist:
Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale (KDMZ), 8090 Zürich; Tel. 461 34 10; Fax: 461 60 56; Preis: SFr.18.-



Fuuml;r Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Walcheturm in Zürich.