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Contrat social im Zürcher Naturschutz
Etwa ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten im Kanton Zürich sind
entweder ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Dies haben Untersuchungen
im Rahmen des neuen kantonalen Naturschutzgesamtkonzepts ergeben. Es ist in letzter Zeit
immer schwieriger geworden, die noch vorhandenen natürlichen und
naturnahen Lebensräume zu erhalten, denn die Zubetonierung von
Lebensraum schreitet unaufhaltsam voran. In den Achtzigerjahren wurden im
Kanton Zürich beispielsweise 300 ha/Jahr überbaut. Diese stärkere Beanspruchung
bedeutet sowohl hohen Lebensraumverlust, als auch den Verlust der
ohnehin nicht besonders grossen Artenvielfalt. Im Bewusstsein des wirtschaftlichen
Fortschritts wurde schon im Jahre 1912 das erste kantonale Naturschutzkonzept
erlassen. Der Zweck war es, naturnahe Gebiete der Ueberbauung zu entziehen.
Bisher hat der Naturschutz bei uns auch trotz wirtschaftlichen Entwicklung
eigentlich die Bewährungsprobe bestanden, vorläufig noch.
Aber nicht mehr lange, wenn sich nichts daran ändert. Das war wohl der
Grundgedanke, als 1988 eine Arbeitsgruppe für eine Neuformulierung des
Naturschutzkonzeptes im Kanton Zürich eingesetzt wurde. Ihre Ziele,
gesteckt von der Regierung, waren klar: wie kann der heute noch
vorhandene naturnahe Lebensraum auch über die Jahrtausendwende
gerettet und eventuell sogar erhalten werden? 1992 lieferte die
eingesetzte Gruppe den Entwurf für ein neues Konzept ab. Er stiess auf
grundsätzlich postives Echo. Aber es gab auch Kritik. Die gezogenene
Bilanz war ganz klar: Naturschutz kann nicht vom Staat verordnet werden,
vielmehr können nur partnerschaftliche Naturschutzanstrengungen
aller interessierter und beteiligter Kreise unsere Flora und Fauna
langfristig erhalten. In der Folge wurde für 900'000 SFr.- das
Naturschutzgesamtkonzept des Kantons Zürich in Auftrag gegeben.
Baudirektor Hoffmann umriss die Notwendigkeit dieses neu-alten
Konzepts anlässlich einer gut besuchten Medienveranstaltung wie folgt:
"Wir sind an einem Punkt angekommen, wo eine neue Pionierleistung
erbracht werden muss." Um diese immense Leistung (nämlich die Erhaltung der
verbliebenen naturnahen Räume im Kanton) zu gewährleisten, wurden viele
Institutionen und Organisationen in die breite Diskussion einbezogen. Angefangen
von vielen kantonalen Verwaltungsstellen über Forschung und Naturschutzverbände
bis zum Bauernverband, alle waren sie um ihre Meinung zum Thema gefragt.
Die klar formulierten Ziele waren:
- Artenschwund stoppen
- Artenvielfalt erhalten
- Rollende Kontrolle mit minimalem Aufwand (WIF!)
- Betrachtung der Naturschutzaufgaben unter ganzheitlichem Gesichtspunkt
Die Säulen des Vorgehens sollen die folgenden sein:
Partnerschaft,
Subsidiarität,
Rollende Planung,
Anreize an alle Beteiligten.
Alle waren sie für den Naturschutz, aber alle hatten ihre eigene Vorstellung davon,
die ja nicht mit ihren eigenen Interessen kollidieren soll. So wurde die
Zustimmung der Bauern damit erkauft, dass sie einen Hauptteil der budgetierten
maximal 75 Mio. SFr.-/Jahr (davon 50 Mio. durch den Kanton finanziert) dafür
erhalten sollten, dass sie ihre Bauernsame naturnah bewirtschaften.
Die Umweltverbände mussten eh ja und amen dazu sagen, obschon sie sich den
Mund nicht verbieten lassen möchten. Aufgrund des immensen Schuldenbergs des
Naturschutzfonds aber war Schweigen durchaus angebracht. Die exekutiv handelnden
Gemeinden schliesslich scheinen von der Idee nicht besonders begeistert zu sein, denn
der Vertreter des Gemeindepräsidentenverbandes stellte sich, weil abwesend
mittels Referatstext, mit viel Pathos hinter das Konzept und pries
wortgewaltig den Nutzen der Natur für die Menschen. Dabei
waren seine Sätze nichts als Binsenweiseheiten. Seine Aufgabe,
über die konkreten Möglichkeiten, Sorgen und Freuden der
171 Zürcher Gemeinden im Bezug auf die Umsetzung zu informieren,
nahm er nicht wahr. Die einzigen konkreten Sätze seines Referates
waren:"Die Chancen und Möglichkeiten der Gemeinde liegen im konkreten
Suchen nach gemeinsamen Lösungen im vertrauten, überschaubaren Raum.
Mit dem Engagement und der Mitarbeit aller Einwohner und Einwohnerinnen
kann der Naturschutzauf Gemeindeebene als gesellschaftliche Aufgabe
wahrgenommen werden." Politik.
Beteiligte Forscher unterstrichen dagegen deutlich, dass der naturnahe
Lebensraum im Kanton in den letzten Jahren nicht "abgenommen", sondern
regelrecht "zusammengebrochen" sei. Mit dem neuen Konzept soll eben
dieser Trend rückgängig gemacht werden. Das ist auch mehr als nötig,
den das angestrebte "erhalten" geht von der Tatsache aus, dass heute
3'300 ha (4% der Kulturlandfläche) naturnahe Flächen bestehen. Ein
Minimum von 11'000 ha (13%) wäre notwendig.
Das neue Konzept soll, als Pionierleistung, dieses
"erhalten" zum Ziel haben. Allerdings
wurden weder an der Presseorientierung, noch im verteilten Text des
Naturschutzgesamtkonzeptes konkrete und greifende Massnahmen verlangt.
Es hiess ja, dass der freiwillige Beitrag das A und O des neuen Konzeptes
sei. Es soll vielmehr eine Richtlinie sein für Kanton, Gemeinden, die beteiligten
Organisationen und Private. Das heisst, dass jedeR nach Gutdünken
Naturschutz betreibt. Ein löbliches, aber gefährliches Ansinnen.
Der interessierte Zuhörer/die interessierte Zuhörerin erhielt an diesem
langen Morgen den Eindruck, dass die Kantonsregierung den Weg aus dem
Schlamassel mit einem Jahrhunderte alten Werkzeug demokratischer
Entscheidungsfindung gehen will, nämlich dem Gesellschaftsvertrag (auf
französisch eben "contrat social"). Hier unterschreiben alle beteiligten
Mitglieder einer Gesellschaft (also auch alle Hierarchiestufen und politische
Gegner) einen symbolischen Vertrag, der den kleinsten gemeinsamen Nenner
beinhaltet und für alle ein zu erreichendes Ziel sein soll. Nicht mehr.
Und schon gar nicht mittels Zwang. Kantonsplaner Gabathuler beschwor
dann auch die anwesenden Journis (und somit das Volk) fast auf Knien:
"Der Naturschutz im Kanton sollte in der Zukunft nicht 20 (Beamte; Anm. d. Red.),
sondern 1.2 Mio. Mitarbeiter haben, alle sollen daran beteiligt sein". Na,
ob das gelingt? Viele KöchInnen verderben den Brei, wenn sie alle etwas
anderes kochen möchten. En Guete.
Die Bezugsquelle für das "Naturschutz-Gesamtkonzept für den Kanton Zürich" ist:
Kantonale Drucksachen- und Materialzentrale (KDMZ), 8090 Zürich; Tel. 461 34 10;
Fax: 461 60 56; Preis: SFr.18.-
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