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Ibsens Wildente
Eine 14 Jahre junge Erwachsene begeht Selbstmord, um sich in einer Welt des
Wahnsinns die Liebe ihrer Familie zu garantieren. Dabei spielt auch eine
Wildente eine entscheidende Rolle. Das ist die Ausgangslage des im
Schauspielhaus angelaufenen Meisterwerkes "Die Wildente" von Henrik Ibsen. Wir
haben uns das Stück angesehen.
Das Stück hatte am 1. Februar Prmiere. Die Länge ist mit fast
zweieinhalb Stunden plus Pause sicher eher an der Obergrenze. Doch obschon die
Handlung eigentlich sehr unspektakulär ist, gibt es nie Ueberlängen.
Gregers Werle kommt nach vielen Jahren der Einsamkeit zurück in die Stadt.
Er überwirft sich mit seinem Vater und mietet sich im Haus seines
ehemaligen Schulfreundes, dem Photographen Hjalmar Ekdal ein. Entschlossen,
seine ideale Forderung nach der in seiner Familie vermissten "wahren Ehe" auch
in die Herzen seiner Mitmenschen zu tragen, holt Gregers die längst
begrabene düstere Vergangenheit von Hjalmars Frau Gina ans Licht. Die in
der Dachkammer der Wohnung beherbergte Wildente wird zum Symbol, das die aus der
Balance geratene Familie Ekdal retten soll. Der Tochter Hedwig wird sie zum
Verhängnis.
Dies ist kurz die Handlung des Stückes. Henrik Ibsen wurde einer der
grossartigsten norwegischen Autoren des letzten Jahrhunderts. Er
entstammt einer gefallenen bürgerlichen Familie und schrieb
1884 eines seiner erfolgreichsten Werke, eben die "Wildente". Ausserdem
konnte er grosse Erfolge mit dem "Volksfeind" und "Peer Gynt" verbuchen.
Ibsen ist wohl einer der berühmtesten gesellschaftskritischen Autoren
des letzten Jahrhunderts. Seine Bilder einer verlogenen bürgerlichen
Gesellschaft enden schliesslich immer im Verderben und im Tod. Ibsen
ist aber auch ein Meister der Tragikomödie. Wie in der "Wildente" schwingt
auch in "Peer Gynt" ein makaber-ironischer Unterton mit, der Gelächter
erzeugen kann. Aber wer lacht, bekommt ein schlechtes Gewissen dabei.
Die "Wildente" im Schauspielhaus wurde von Daniel Karasek inszeniert.
Es ist ein Stück um die Lebenslüge. Alle erwachsenen Personen tragen eine
mehr oder minder offene Lebenslüge mit sich herum. Der alte Werle ist ein
Egozentriker, der sein Dienstmädchen geschwängert hat und sich nichts
daraus macht. Dieses, Gina Ekdal, lebt seit 16 Jahren mit ihrem Mann zusammen,
der gar nicht der Vater ihrer Tochter ist. Der Mann, Hjalmar, ist ein
fanatischer Phantast, der nichts von der Wahrheit hält und sich eisern
am Traum einer erlogenen Erfindung festhält. Alle glauben ihm. Sein
alter Freund Gregers zerstört aus einem pseudoidealistischen Gefühl
heraus das Leben der Familie Ekdal. Grossvater Ekdal ist ein seniler
Ex-Offizier, der noch immer in einer Welt der Jagd und des Ruhms lebt,
obschon diese Welt der Dachboden ist. Ein bescheuerter Arzt und ein
versoffener Pfarrer spielen auch noch eine Rolle in diesem Stück.
Nur die 14jährige Hedwig, hervorragend gespielt von Angela Klecker, bleibt
während fünf Akten vernünftig. Sie zieht die Konsequenz davon,
dass alle Erwachsenen des Stückes irrsinnig und verlogen sind. Sie
erschiesst sich, um ihrem Vater ihre Liebe zu beweisen. Ibsen zeigt mit Hedwig
die Vernunft, mit der eine erwachsende junge Frau die Welt um sich akzeptieren
kann. Hedwig sei in einem schwierigen Alter, heisst es des öfteren. Aber
ihre Unschuld, ihre Liebe, Offenheit und ihr Realitätssinn sind es, die sie
von den Erwachsenen abheben. Nur sie verfällt bis zum Schluss nicht der
Lebenslüge der Erwachsenen und indirekt auch der bürgerlichen Familie,
in der diese leben. Sie ist, wie sie ist.
Die SchauspielerInnen interpretieren Ibsens Lebensgefühl sehr emotional.
Während Hjalmar zuerst stark ist und dann zusehends zusammenbricht, ist
Gregers am Schluss der gefallene Held. Das Bühnenbild (das Atelier des
Photographen Ekdal) ist bedrängend, die Kostüme widerspiegeln die
Verelendung einer nach aussen intakten Gesellschaft, und auch der Tonfall
äussert abwechselnd Präsenz oder Ferne. Neben der grossartigen
Leistung der anderen ProtagonistInnen ist das Auftreten Hedwig-Angela Kleckers
zu nennen. Sie ist ausserordentlich hübsch, offensichtlich erwachsend, aber
doch ein altkluges und natürliches Einzelkind. Sie zeigt all die Facetten
auf, die zu jener Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein gehören. Der
Zuschauer/die Zuschauerin schliesst sie sofort ins Herz, weil mensch sich selbst
in diesem Kind erkennt, das verzweifelt versucht, in einer Welt des Wahnsinns zu
bestehen.
Iso Camartin schreibt in einem Aufsatz über Kindervernunft:"Kindervernunft
würde ausreichen, die Welt heil und geheimnisvoll zu erhalten." Ibsens
Stück ist also aktueller denn je. "Die Wildente" ist sehenswert für
jung und alt. Hedwig stellt die Zukunft einer untergehenden Gesellschaft dar.
Sie ist wissend, realistisch und kann zwischen Phantasie und Wirklichkeit
unterscheiden. Deshalb bringt sie sich um. Um der Lüge zu entrinnen,
wählt sie den Weg der absoluten Realität, es ist nämlich nichts
so real wie der Tod.
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