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Frauen kämpfen für ihre Freiheit 1831-1971-1996
Also der Autor weiss nicht so ganz, was er davon halten soll. Mit "Bremer
Freiheit" führte das Theater des Kantons Zürich ein Stück von Rainer Werner
Fassbinder, seines Zeichens einer der Koryphäen des "neuen deutschen Films"
(=der siebziger Jahre) unter der Regie des katalanischschweizerischen Regisseurs
Jordi Vilardaga auf. Und damit geht das 1971 entstandene Profitheater zurück zu
seinen Anfängen, zur Zeit der 68er nämlich. Just im selben Jahr, als aus dem
Gedanken eines richtigen "Theaters für das Volk" das TZ entstand, führte
Fassbinder sein Stück über die Bremer Giftmörderin Geesche Gottfried auf. Damals
war das Stück also noch brandaktuell. Doch schneidet "man" sich hier nicht ins
eigene Fleisch?
Rekapitulieren wir. "Du spinnst ja, Frau!", meint einer der mächtigen Bremer
Patrizier des Jahres 1831. Gemeint ist Geesche, das von ihrem Mann und ihrer
patriarchalischen Umwelt gepeinigte Eheweib des Sattlers Gottfried. Auf die
unerträgliche Gewalt reagiert sie mit Gegengewalt. Die Gerichtsbücher Bremens
belegen, dass die 1831 hingerichtete Geesche Gottfried angeblich 15 Morde und
zwanzig Mordversuche gestanden habe. Fassbinder nahm diese Geschichte auf und
setzte es auf die Bühne um. Das ganze Stück erinnert an einen Roman von Agatha
Christie, wo nach dem "Zehn kleine Jägermeister"-Prinzip eineR nach dem/der
anderen mittels Arsen ins Jenseits befördert wird. Und auch die TZ-Fassung ist
nichts als ein fast zweistündiges und pausenloses Morden. Der Autor zählte am
Schluss immerhin neun Leichen.
Das Stück ist nicht besonders spannend. Geesche (Ariela Ruchti) wandelt sich von
der liebenden und verschmähten Gattin zu einer regelrechten Mordmaschine, die
nach und nach ihre WidersacherInnen um die Ecke bringt. Und wie es sich gehört,
wird das Motiv immer sinnloser. Während sie sich am Anfang ihres unmenschlichen
Gatten entledigt, was irgendwie noch ziemlich bald verständlich wird, ist sie am
Schluss nur noch ein mordlüsternes Objekt, die aus reiner Lust an der Sache
mordet. Das allerdings hat dann mit der hehren Sache der Frauenbewegung nichts
mehr zu tun. Hier wird die andere Seite des "schwachen" Geschlechts gezeigt, die
totale Skrupellosigkeit, zu der Frauen eben auch fähig sein können. Davon
später. Die Bühne ist einfach und besteht eigentlich nur aus einem hellen Raum
und dem Riesenstuhl des Herrschers, der notabene am Schluss eine Herrscherin
ist, nämlich Geesche, die aus dem Schutz der häuslichen Privatheit zuschlägt.
Die schlichte Bühne täuscht nicht über den guten Auftritt des Ensembles hinweg,
allen voran die Geesche-Darstelleirn Ruchti (selbst Bremerin) gefiel mit ihrer
Art, das Wechselbad der Gefühle auszudrücken. Ihr nahm der Zuschauer/ die
Zuschauerin die Wandlung der betenden Heldin zur betenden Teufelin ab. Sie
bringt als einzige Spannung in die eher steinern wirkende Kulisse. Mit ihr hat
der Regisseur Vilardaga, den wir an der Premiere als höchst nervösen und
zappeligen netten Künstler kennengelernt haben, einen guten Griff getan. Und
damit ist nicht das Arsen gemeint.
Die Ausbeutungsthematik der Frauenbewegung ist sicher eines der tragenden Motive
des Autors Fassbinder gewesen. Ganz klar kommt auch der Aufstand des gepeinigten
Wesens vor der mächtigen Gewalt heraus. Aber der Aufstand der Frau wird zu
Terror - und die Geschichte gewinnt eine neue, meines Erachtens vom Autor nicht
beabsichtigte Dimension. Es geht um die Umkehrung des "Guten" in der
Emanzipation der Frau in sein Gegenteil.
Es ist nämlich nicht abzustreiten, dass eine Folge des weiblichen
Selbstbewusstseins auch die ist, dass je länger je mehr der Sinn für Solidarität
und Gemeinschaftsbewusstsein bei der heutigen Frauengeneration schwindet. Immer
mehr Frauen sind bereit, auch ohne weiteres über Leichen zu gehen, wenn es ihnen
zum Vorteil gereicht. Meistens handelt es sich dabei um männliche Leichen. Der
Mann, früher mal der Täter, ist heute vermehrt zum Opfer geworden, der den
Launen der "modernen" Frau gehorchen muss. Wenn er ihr nichts mehr nützt, lässt
sie ihn fallen. Das hat nichts mit konservativem Backlash zu tun, sondern mit
der Tatsache, dass viele Frauen nicht realisieren, dass Gleichstellung auch die
Uebernahme kollektiver Verantwortung bedeuten muss, etwas, was sich die Männer
schon lange schwer tun damit. Geesche wird zum Fanal für die junge,
selbstbewusste Frau von heute, die vor lauter Freiheit den Sinn für die
Menschlichkeit verlieren kann. Ich rede nicht von allen, aber doch von einer
steigenden Zahl von Frauen.
Wir Männer müssen lernen, mit dieser "neuen" Frau zu leben, sie ist das Produkt
unserer Zeit und unseres noch immer patriarchalischen Systems. Wir müssen uns
bewusst sein, dass die Frau von heute durchaus zu einer "Schwarzen Witwe" und
Giftmörderin werden kann und auch darf (wir sind auch nicht viel besser!). Aber
es bedeutet auch, dass wir uns als Männer überlegen müssen, ob wir nun den
"Knecht" mimen wollen, nachdem wir jahrelang der "Herr" waren. Oder ob wir nicht
sagen: solange nicht wirkliche Gleichheit herrscht (also auch kollektive
Verantwortung für die Gemeinschaft) sind wir nicht bereit, dieses Spiel zu
spielen. Das ist die Kernaussage dieses Stückes. Ob gewollt oder nicht.
Uebrigens: die hier erzählte Hinrichtung Geesche Gottfrieds war die letzte
öffentliche Hinrichtung in der Hansestadt Bremen. Und "Bremer Freiheit" wird
noch bis zum 25. Mai drei Mal pro Woche im Sidi-Theater gespielt. Reservationen
unter Tel. 052 212 14 42.
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