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14.2.1996

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Erich Müller, Velofahrer, Oberlunkhofen

Dem aufmerksamen Leser/der aufmerksamen Leserin ist in den letzten Tagen sicher ein grosses Inserat in den Zeitungen aufgefallen. Auf 450 Quadratzentimetern Fläche ist ein alter, aber rüstig wirkender Mann mit Dächlikappe abgebildet. Der Titel stellt den Herrn auch gleich vor:"Erich Müller, Velofahrer, Oberlunkhofen". Der Herr scheint die Natur zu lieben und aus dem Stromkanton Aargau zu stammen.

Herr Müller meint in diesem Inserat: "Ich bin sehr umfassend über die Kernenergie informiert worden anlässlich meines Besuchs eines Kernkraftwerkes: Es wurde uns gesagt, wieviel Strom wir dank den Werken produzieren können; die Sicherheitsvorkehrungen haben mich beeindruckt. Und natürlich die Anlage, die so gepflegt ist wie mein Velo." Unterschrieben ist das Inserat mit "Schweizer Kernenergie. Täglich Strom" und den Telephonnummern der schweizer AKWs. Die entsprechenden Nummern stehen unter diesem Artikel, falls die Begierde Eurerseits besteht, dort anzurufen.

Dass problematische Branchen das Bedürfnis haben, für sich zu werben und natürlich dabei die Problematik ihrer Branche möglichst zu verdecken, ist ja wohl klar. Die Lobbyorganisation "Gen Suisse", hinter der die chemischen Grossbetriebe stehen, hatte mit ihrer breiten Kampagne vor ein paar Jahren viel Sand aufgewirbelt. Und jetzt sind die AKW-Betreiber dran. Sie verlangen Goodwill vom Volk, damit sie ihre Strahlenschleudern weiterhin betreiben können. Und Goodwill weckt mensch am besten mit einer grossangelegten volksnahen Kampagne.

Ist es ein Zufall, dass diese Kampagne justament in jenem Moment anläuft, da die AKW-Betreiber für den Nicht-Bau des Meilers in Gösgen vom Staat fürstlich entschädigt worden sind? Sind hier Millionen direkt von Bern in die Säckel der Zeitungen geflossen? Fragen über Fragen. Ach, da fällt mir ein. Ich habe im "Vorwärts" eine treffende Karikatur über diese Entschädigungen gelesen. Ercan (die Hauptfigur einer Comicreihe) bewirbt sich für eine Stelle und wird abgewiesen. Als Folge stellt er dem Patron (einem fiesen Grosskapitalisten natürlich, wie es sich für dieses Blatt geziemt) eine Rechnung für den dadurch ausgefallenen Lohn aus. Na, ein kurzer Abstecher in die staatliche Finanzpolitik.

Jedenfalls wirbt ein offensichtlich naturverbundener Mensch hier für eine widernatürliche, nicht erneuerbare und erwiesenermassen riskante Energiequelle. Nichts gegen Werbung, aber hier wird mit der grossen Kelle angerichtet. Herr Müller scheint eine Führung durchgemacht zu haben, während der ihm vorgegaukelt worden ist, dass unsere AKWs immun gegen allfällige Störfälle seien, so nach dem Motto:"Was in der fernen UdSSR passiert ist, kann uns nicht passieren, die leben ja eh hinter dem Mond." Nie wird mit einem Wort gesagt, dass auch bei uns hie und da, wenn auch kleinere, Störfälle passieren. Das Volk wird mit der Garantie eingelullt, dass ein bejahrter Velofahrer aus dem Aargau das technische und politische Verständnis hat, über die Sicherheit von AKWs urteilen zu können.

Wir haben uns mal bei Herrn Müller in Oberlunkhofen erkundigt. Es stimme, meinte er gegenüber Biwidus. Zwar sei der Text "etwas ausgeschmückt", aber nicht erfunden. Seine Frau arbeite bei einer Inseratefirma und habe eine Führung ins AKW organisiert, so mit Aperitif und so. Und diese Führung habe ihn davon überzeugt, dass das AKW Gösgen so sicher sei, dass mensch keine angst zu haben brauche. Also, wenn das nicht ein neutrales und kompetentes Verdikt ist!

Ueli Müller, der sich bei der Umweltorganisation Greenpeace mit der Atomkraft befasst, lachte, als ich ihm den Text vorlas. Er meinte, dass die Atomwirtschaft seit November eine breit angelegte Kampagne in Presse und Fernsehen lanciert habe. Dieses Inserat sei ein Teil davon. Es gehe darum, dass die AKW-Betreiber, zusammengeschlossen im SVA und im Stromforum, versuchten, im Hinblick auf das zehnjährige Jubiläum der Katastrophe von Tschernobyl (am 26. April 1996), dem anlaufenden Protest der Umweltverbände den "Wind aus den Segeln zu nehmen". Er meinte, dass diese Kampagne einen Gesamtumfang von einigen hunderttausend Franken haben könne. Allein schon dieses Inserat koste über 10'000 Franken. Das ist wahrscheinlich Geld aus unseren Stromrechnungen.

Es ist schon seltsam, dass die Kernenergielobby zu Mitteln greifen muss, die mensch mehr aus der Waschmittel- und Hygieneartikelwerbung kennt. Die Atomkraft wird plötzlich mit Ariel-Ultra auf die gleiche Stufe gesetzt. Dort ist es dann eine Hausfrau (Achtung Klischees!), die die Vorzüge dieses Produktes preist. Wir denken, dass dies ein weiteres Beispiel für die fortlaufende Ent-Sinnung der Werbung ist, so ähnlich wie:"Gebt mir eine Million, und ich mache euch aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat."

Dieses sind übrigens die Nummern der betreffenden Anlagen:
KKW Leibstadt 056 267 72 50
KKW Gösgen 155 155 6
KKW Beznau 056 250 00 31
KKW Mühleberg 031 330 51 25
Achtung! Dies war eine Satire.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus Oberlunkhofen (weiss Gott, wo das ist).