Witt: Bayreuth eins
Wir, die wir uns noch an die glorreiche Zeit der Neuen Deutschen Welle
erinnern, weil wir sie miterlebt haben, wurden in letzter Zeit
bestenfalls mit Parties, schlimmstenfalls aber mit Sound a la
Blümchen oder Guildo Horn belästigt. Wirklich keine erfreuliche Zeit
für uns. Aber es gibt jetzt Anlass zur Hoffnung, NDW-Vorspieler Joachim
Witt unternimmt mit einer neuen CD den Sprung ins 21. Jahrhundert.
Auffällig ist die musikalische Nähe zur sogenannten "Neuen Deutschen Härte"
nach dem Vorbild von oomph! und Rammstein. Interessanterweise könnte
Witt aber deren Vater sein, denn seit 1981 war (und offenbar ist) der
Hamburger für eine Ueberraschung gut. Das Album "Bayreuth eins" ist eine
solche. Witt schlägt irgendwie den Bogen von den Charakteristika der
NDW in die Jetztzeit.
"Bayreuth eins" ist geprägt vom Industrial, aber trotzdem sehr
eigen. Neben den synthilastigen Sounds und wummernden Beats flicht Witt
typisch minimalistisch immer wieder Riffs ein, leider etwas gar stark
aus der Retorte geraten. Klar, dass der Meister ausser den weiblichen
Backgroundvocals gleich alles selbst spielt. Deutlich auch die Nähe
zum Rammsteinismus, einer gewissen Tendenz, Marschmusik und
Richard-Wagner-Bombastik miteinander zu kombinieren. Das kommt vor allem
auch beim sehr gelungenen Cover sehr gut heraus.
Sehr stark sind (wie schon bei seinen alten Hits "Goldener Reiter" und
dem sozialkritischen Strassenfeger "Herbergsvater") wieder die Wittschen
Texte. "Ich habe die Zukunft eingeholt, doch sie hat mir den Arsch versohlt",
singt er programmatisch in "träume, die kein wind verweht". Oder "auf der
flucht vor brennender heimat, vor der qual der einsamkeit, vor dem blendwerk
keuchender leiber, stehen die fackeln im sturm bereit" (aus "Jüngstes Gericht").
Witt schreibt nicht politische Texte, aber durch und durch poetische, und
sie haben eine immense Tiefe, die einem den Atem raubt.
Zusammen mit dem bisweilen brachial-kämpferischen, zum Teil aber auch
mystisch-alptraumhaften Weltuntergangssound klingen diese Songs sehr
einzigartig und bergen wie im "Jüngsten Gericht" eine fast todverliebte
Poesie in sich. "fluch der nacht, einsamkeit, macht sich in dieser
stunde breit, ein schmetterling verbrennt im Wind, mit seinen träumen
wie ein kind" singt er wieder in "träume".
Die neue Witt-CD ist etwas für diejenigen, denen der brachiale
Industrial-Sound der Neuen Deutschen Härte zwar viel sagt, die aber mit den
bekanntesten Vertretern der Gattung, Rammstein, nichts anfangen können
(über die Faschismusdiskussion von Rammstein hat Vitsky unlängst
einen umstrittenen Artikel geschrieben.
Und Witt vertritt immernoch die Neue Deutsche Welle, obschon sie mit
den Jahren etwas erwachsener geworden ist, realistischer, tiefer.
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