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Mensch, ich gehe
"Haben Sie wirklich alles verstanden?" fragte mich der Richter; eine Frage,
ausserhalb des Protokolls, anscheinend schimmerte der Mensch durch die
Beamtenhaut. Leicht verwirrt, da sich der Richter bisher äussert wortkarg
gab und nur die vom Protokoll vorgeschriebenen Sätze sagte und jetzt plötzlich
mehr und auch da ich wirklich gerade daran war, gewissenhaft das Dokument,
das ich nach wie vor zu unterzeichnen gewillt, nochmals durchzulesen, wie
ich es vielen guten Freunden versprechen musste. Meine bisherigen,
protokollgemässen Antworten liesen sicher auch für den Richter schliessen,
dass ich alles verstanden habe, so nickte ich nur zweimal kurz, und eigentlich
ohne meinen Blick vom Dokument zu wenden.
Das Dokument, eine juristische Feinarbeit, dessen Inhalt man aber in einem
Satz zusammenfassen kann, ohne Wesentliches zu vernachlässigen - nicht dass
ich den Verfassern übertriebenen Ausschmückung vorwerfen möchte, sicher sind
alle die vielen Sätze für eine Unanfechtbarkeit nötig, meine Bewunderung hielt
sich trotzdem in Grenzen stummer Gleichgültigkeit. Das Dokument beurkundete,
dass der Unterzeichnende sich endgültig als nicht mehr der Rasse Mensch
angehörend betrachtet. Der Feine Unterschied, der meinen Fall komplizierter
machte als frühere, war, dass nicht mehr der Rest der Menschheit mich ausstiess,
sondern ich mich selber ausgrenzte.
"Wenn Sie dieses Dokument jetzt unterschreiben, haben Sie zehn Minuten Zeit,
diesen Raum zu verlassen. Das Dokument wird gültig, sobald Sie die Türe von
aussen geschlossen haben und die Türfalle losgelassen haben. Sollten Sie
sich während den nächsten zehn Minuten auschliesslich hier drinnen aufhalten,
verfällt das Dokument. Wenn Sie es wünschen, dann unterschreiben Sie jetzt."
Brav abgelesen dachte ich, spürte, wie der Blick des Richters auf den
Kugelschreibern fixiert ist, wahrscheinlich in der Versuchung, ihn durch
Betrachtung schwerer und für mich unbrauchbar zu machen. Ich wusste, keiner
ausser mir wollte, dass diese Dokument von mir unterzeichnet wurde.
Doch nicht aus Trotz unterschrieb ich, unverzüglich übrigens, nachdem der
Richter sein Sätzchen gesagt hatte, sondern - aber ich möchte hier meine
Gründe nicht näher angeben. Wer wirklich eine Begründung für meine Handlung
braucht, na, dem ist nicht mehr zu helfen. Und helfen muss ich ja seit meiner
Unterschrift niemandem mehr, ich darf es auch gar nicht mehr. Meine Unterschrift
machte mich frei von allem Besitz und von meinen Rechten und Pflichten.
Gesetzlich galt ich, als ich die Türfalle loslies, als Tier, nur noch geschützt
durch das Tierschutzgesetz, und da ich keiner spezifischen Gattung angehörte,
hatte ich auch keine zusätzlichen Rechte.
Doch als das ist eigentlich irrelevant, denn schon vor meiner Unterschrift hörte
ich vor der Türe die Meute toben und um die besten Plätze kämpfen. Ein ohrenbetäubender
Lärm kam mir entgegen, als ich die Tür öffnete, ich schaute, bevor ich die
Türfalle, und damit mein Leben, loslies, noch den Menschenhaufen an. Nicht mit
Angst, nein, mit Erleichterung, dass mich niemand mehr für dieses Tun wird
verantworten können.
Ein Bruchteil einer Sekunde, nachdem ich die Türfalle losgelassen hatte, bekam
ich einen heftigen Schlag und stürzte. Einer riss mir die Uhr vom Handgelenk, das
weiss ich noch, danach wurde es still und frei von Zeit näherte sich mein Kopf dem
Boden, ein Augenblick, der nicht länger dauern durfte, so schön war er.
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