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9.5.1996

Gedanken

Zahlen und Menschen

Borchert auf CD

Kühe in Zürich

Roter Dany

Ein Brief erregt Ekel

Geschmackloser Werbemüll

Engel im HB

Diana vom Boulevard abgeschossen

Pathfinders Bibliothek

Neoliberaler Sozialismus

Das Ende der Dürre

Wups: UBS

Was ist ne Tussi?

Linke gegen Rechte

Die Rechten im Dörfli

1999+1=?

Hass - Albanien - Schweiz

Militärdienst: warum noch?

Mensch, ich gehe

Mensch, wohin?

Ode an die Schönheit

Revolution in den Medien

Reihe Utopia - _Gesundheit

Weihnachten

Mr. Biwidus zur Gesellschaft

Revolution in den Medien

Die Medien sind völlig auf dem Autonomen-Hype, jeder glaubt, sich über eine neue politische Konfliktsituation auslassen zu müssen, als ob die Achtzigerjahre wieder auferwacht seien. Eine kurze Medienkritik soll hier versuchen, dem Medienhype wenigstens ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

"Die Geister, die ich rief, werde ich nun nicht los". Dieses goethesche Zitat kursiert zur Zeit unterschwellig in der Zürcher Polit- und Medienwelt. Innerhalb nur weniger Wochen und zwei grossen Strassenschlachten zwischen Polizei und linksfaschistischen Schlägertrupps hat Zürich wieder zu brennen begonnen. Zumindest auf dem Papier, denn seither vergeht kaum mehr ein Tag, da nicht irgendeine unserer vielen Zeitungen gross über die vermummten jugendlichen Staatsfeinde und die heldenmutig kämpfende und mit ihrem Einsatz auch andere Staatsfeinde (die Sozialdemokratie) bekämpfende Polizei berichtet. Oder umgekehrt. Während Blick, NZZ, Züri Woche auf der einen und das Vorwärts (allen voran der Altstalinist Walter Angst) auf der anderen Seite eine ignorante und destruktive Einseitigkeit predigen, pflegt der Tagi ausnahmsweise den dokumentierenden Journalismus. So geschehen am 9. Mai mit einem Artikel von Martin Huber. Wir wollen die Problematik aufgrund dieses Artikels mal von einer medienkritischen Seite her behandeln. Hierfür eignet sich der "vernünftigere" Tagi etwas besser.

Schon der Titel "Altlinke wittern die Revolution - Junge Autonome und gestandene Linksaktivisten machen gemeinsam mobil gegen das "kapitalistische System" suggeriert einen Schulterschluss zwischen den wenigen verbliebenen Altstalinisten und der "autonomen Bewegung". Das schon ist politisch nicht korrekt, denn neue und alte Linke hat nur wenige Berührungspunkte, die auch durch den wiedererwachten Aktivismus der "Autonomen" nicht einfach wettgemacht werden können. Die Stalinisten haben andere Kampfformen und Prioritäten wie die neuen :Linksfaschisten, ihre Medien sind andere und auch ihr politisches Bewusstsein. Mag sein, dass ein gewisser Ideenaustausch stattfindet, aber die neue Linke ist eher durch andere Bewegungen in anderen Ländern beeinflusst (PKK, ETA, RAF, EZLN), wie durch die alte in der Schweiz.

Der Autor schreibt weiter, dass der "radikale linke Widerstand" einen "Solidarisierungsschub" erlebe. Das stimmt in dieser pauschalen Form nicht. Wer die Position der Linksfaschisten teilt, befindet sich auch innerhalb der "radikalen" Linken in der Minderheit. Nur sehr wenige waren und sind bereit, die gewalttätigen Attitudes der "Schwarzen" mit Rat und Tat zu unterstützen. Die meisten "radikalen" Linken sind zwar an sich gegen Staat und Polizei eingestellt, dies jedoch in einem mehr oder weniger demokratisch-sozialistischen Rahmen. Sie bilden die grosse Mehrheit links von der bürgerlichen SP. Es stimmt allerdings, und hier der TA-Autor völlig recht, dass in diesen Kreisen trotz der Gewaltablehnung bisher eine gewisse Toleranz (nicht unbedingt Sympathie) für die Aktionen der Linksfaschisten geherrscht hat, zumindest teilweise. Mensch hat sie "geduldet" wie einen Hitzkopf, dessen Gehabe mensch zwar ablehnt, dem aber immer wieder verziehen wird, weil er "einer von uns" ist. Gerade die sozialistische Jugend hatte bisher wenige Berührungsängste zur linksfaschistischen Bewegung, weil hier ideologische und auch personelle Parallelen durchaus bestehen.

Es ist heute zu bezweifeln, dass nach den von den "Schwarzen" provozierten Angriffen der Polizei auf die friedliche Maifeier diese Toleranz in dieser Form weiterbestehen wird. In einigen linken Kreisen (wie z.B. bei der Juso, den JungsozialistInnen) wird jetzt laut darüber nachgedacht, wie mensch mit der Gewalt von "links" umgehen soll. Was bisher Toleranz war, schlägt jetzt um in Unverständnis und teilweise offene Ablehnung. Ob sich dieser Trend weiterführen wird, ist aufgrund der engen Verquickung der linken und linksfaschistischen Szene fraglich. Das wird sicher auch damit zusammenhängen, ob sich die radikale Linke in der Zukunft mehr zur (Sozial-)Demokratie bekennt oder zum "revolutionären Klassenkampf". Der Geschrei der Linksfaschos, die SPler seien ja eh der Klassenfeind, wird dieser Frage Auftrieb geben.

Der Kern des "Schwarzen Blocks" samt Sympathisanten beläuft sich also im Prinzip nur auf einige hundert Mitglieder. Das sind dann auch Berufschaoten, die gut organisiert und mobilisierbar sind, was auch den Eindruck einer geeinten Schlagkraft macht. PolitaktivistInnen hat es hier aber nicht viele darunter. Deshalb weichen die "Schwarzen" auch je länger je mehr auf junge, politisch unbewusste Draufgängertypen aus, die einfach nur Remmidemmi haben wollen, um dem grauen Alltag zu entfliehen. Das ist der Grund, weshalb an diesen schwachsinnigen Polizei-"Umfragen" so viele junge und politisch Ungebildete beteiligt sind. Denn ihre ideologische Ausbildung ist fast gleich null (von ein paar schnell zu erlernenden Parolen abgesehen - Karl Marx würde sich ab diesen GenossInnen im Grab umdrehen) und die militärische zu schwach, um sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen. Also trifft der Tagi-Redaktor Huber den Nagel eher auf den Kopf als Polizei und Blick, was die Zusammensetzung der Chaoten betrifft. Es gibt viele politisch bewusste und einigermassen "intelligente" Einheimische akzeptablen Alters, aber die sind halt zu tough und zu gut ausgebildet, um sich fangen zu lassen. Also fällt den Bullen nur der geistige, politische und auch altersmässige "Abschaum" in die Hände, ähnlich wie der Rahm auf der Milch.

Demzufolge ist auch die Frage der "politischen Inhalte" durchaus diskutierbar. Der Autor lässt einen "Autonomen" zu Wort kommen, der sich darüber aufregt, dass diese Inhalte in den Medien nicht vorkämen. Kein Wunder, denn ein steinewerfender Idiot äussert auch einen politischen Inhalt. Dass der schwerer wiegt, als die zum Teil holzschnittartigen Parolen, die er von sich gibt, ist ja wohl klar, denn Gewalt ist an sich ein schwerwiegender Inhalt. Linksfaschistisches Gedankengut äussert sich nämlich im Primat des gewalttätigen Weges über einem politischen Ziel. Das merkt mensch zum Teil an den Flugblättern, zum Teil an den frustträchtigen persönlichen Beweggründen der Beteiligten und vor allem an der grossen Aggressionsbereitschaft. Linksfaschisten sind a priori gewalttätig, weil ihr Weltbild nicht auf demokratischem Kampf aufgebaut ist (der durchaus auch aus psychologischer "Gewalt" bestehen kann). Kommt dazu, dass vieler dieser "AktivistInnen" zum Teil keinen einzigen Satz fehlerfrei aussagen können, sprich geistig völlig unterbemittelt und politisch durch und durch unbewusst sind. Eine richtige politische Auseinandersetzung mit ihnen ist nicht möglich. Sie hören niemandem zu und verstehen das Gesagte auch nicht. Und das erst macht sie zu einem Problem.

Der beste Teil des Artikels ist die Analyse der "Bewegung" selber. Der Autor realisiert, dass es keine eigentliche "Bewegung" gibt, das ist in der Szene schon lange klar. Es hat auch nie irgendwo eine einheitliche radikale Linke gegeben. Selbstzerfleischung war schon immer ein Zeichen der Linken, meistens von linksfaschistischen Kreisen getragen. Seine Auseinandersetzung mit dem RAZ (Revolutionärer Aufbau Zürich) würde an sich noch ein paar Sätze und sogar einen Kommentar ertragen, denn ihn ehrt seine Nüchternheit, was dieses Thema betrifft. Die anderen Medien, allen voran der Blick, sehen in der linksfaschistischen Abbruch-Bewegung RAZ den Feind an sich. Mein Kompliment an den Autor für seine Ausgeglichenheit.

Das Verhältnis zwischen alten und jungen Revoluzzern wird im Artikel diplomatisch als Bewunderung umschrieben. Dabei weicht der Autor der Tatsache aus, dass in diesen Kreisen der Kadavergehorsam schon immer sehr verbreitet und tief war, kein Wunder, wenn in einer Bewegung interne Kritik so verpönt ist wie in dieser. Die antiautoritäre Haltung vieler "Autonomen" ist nur nach aussen gerichtet. Nach innen herrscht für faschistische Bewegungen üblicher Gehorsam, Kritiklosigkeit und Verfolgungswahn.

Einen Punkt muss ich am Artikels des Autors wirklich beanstanden. Trotz des guten Ansatzes der Relativierung steht er der jugendfeindlichen Haltung anderer Medien nicht kritisch genug gegenüber. Einmal mehr wird hier aus der Jugend ein Problem gemacht. Die "erwachsenen" Medien geben sich Mühe, die erstarkende jugendliche Emanzipationsbewegung zu verunglimpfen. Mit diesen Ausschreitungen hat mensch jetzt nach der Drogenproblematik einen neuen Weg gefunden, die Jugendlichen als unreif, asozial und dumm hinzustellen. Und dabei geht eines vergessen, ein Satz aus dem "Zauberlehrling" von Goethe:"Die Geister, die ich rief,..."



Für Biwidus: Wildcat (EMail)