zur Frontseite
16.12.1995

Politik

Medicuba?

Deutsche Grüne 98

Unigesetz Abstimmung

Petition für Solidarität

Muss Widerstand gewalttätig sein?

Schliessung Spital Thalwil

1. Mai Nachdemo Nachwehen

Neues _Gastgewerbegesetz

Europa in Baden

Kantonale Politik

Sozialleistungsstatistik

Meinung zur _Unipolitik

SP-Parteitag

Antifa-Demo

Uni Sparmassnahmen

Basta/Fünf vor zwölf: wieder einmal eine Antifa-Demo

Zum ersten Mal seit dem grossen Demosamstag am 23. September riefen die Antifa und ihr militanter Flügel, der anarchistische Revolutionäre Aufbau, wieder einmal zu einer grösseren Demo auf. Seit Wochen kursierten in den einschlägigen Publikationen der Linken Aufrufe zu dieser Demo, die die ultimative hatte sein sollen. Die letzte grosse in diesem Jahr und vielleicht hofften auch einige, dass sie auch die letzte vor der Weltrevolution hätte sein sollen.

Jedenfalls besammelten sich einige hundert wackere AntifaschistInnen knapp vor High Noon bei der Bäckeranlage in Zürich und wollten in Richtung Innenstadt ziehen. Dabei überwog offensichtlich der gemässigte Antifa-Flügel. Sicher waren die einen auf Knatsch aus, auf die immer sehr spannenden Strassenschlachten mit der Polizei, die langsam zum guten Ton gehören. Aber, um es vorweg zu nehmen, die Demo verlief grösstenteils ziemlich friedlich.

Neben schwarz vermummten Gestalten standen auch viele andere Jugendliche dort herum. Auch waren linksfaschistische Gruppen von EmigrantInnen anwesend. Die bunte Schar wärmte sich lange an der Hoffnung auf eine gut verlaufende Demo, denn es dauerte fast eine Stunde, bis der Haufen anlief. Die Demo war im Prinzip bewilligt, aber nicht in jener Richtung, in der die Demonstranten gehen wollten. Das klingt kompliziert, ist jedoch ganz einfach: die Demo hätte vom Kreis 4 zum Hechtplatz gehen sollen, der Polizeivorstand Bobby Neukomm (eigentlich ein Sozi-Magistrat) hat die Bewilligung aber in umgekehrter Richtung erlassen. Nun waren die Leute, die sich um die Mittagszeit auf der Stauffacherstrasse trafen, mitten in eine illegale Demo geraten (O-Ton VBZ-Leitstelle: eine "Störung auf der Stauffacherstrasse"). Entsprechend gross war auch der Aufmarsch der Hüter von Recht und Ordnung (i.e. des kapitalistischen System) auf dem Helvetiaplatz.

Um halb eins standen sich zwei Fronten auf der breiten Strasse gegenüber, steinwurfsichere 131 Schritte voneinander entfernt. Die Lage schien sich zu verschärfen, als irgend so ein halbschlauer Uniformierter die DemonstrantInnen aufforderte, sich innerhalb von zwei Minuten zu verdünnisieren. Natürlich wurde er nur ausgelacht. Eine halbe Stunde später versuchten die Leute, einfach locker durch den Polizeikordon zu laufen, in einer langgezogenen Kolonne liefen sie los. Die Polizei hatte dann genug vom Katz und Maus-Spiel und schritt massiv ein. Mit einem Wasserwerfer, Tränengas und etwa zwei Dutzend Blauen in Kampfmontur griff sie an und löste die Demo innerhalb von fünf Minuten auf. Dabei wurden die Medienleute und ZuschauerInnen dem obligaten Tränengasregen ausgesetzt. Die Demonstranten stoben schnell auseinander, sie bewegten sich in kleinen Trupps und zum Teil unter Zuhilfenahme der staatlichen Verkehrsbetriebe Richtung Innenstadt. Bisher hatten sie sich sehr ruhig verhalten, vereinzelte Steinwürfe waren Mangelware. Neckische Beschimpfungen waren dafür gang und gäbe.

Mensch traf sich auf dem Hechtplatz. Aber schon hier, noch bevor der zweite Teil der Show begann, war die Zahl der DemonstrantInnen von etwa 250 auf ca. 100 heruntergegangen, nur wenige Unentwegte sammelten sich zum Zug zurück. Wieder brüllte mensch die üblichen Parolen ("Internationale Solidarität!"), die wir ja auch an der grossen Demo im September gehört haben. Der Zug bewegte sich friedlich und von der Polizei unbehelligt über den Limmatquai. Das einzige, was geworfen wurde, waren Schneebälle. Die etwa hundert AntifaschistInnen spazierten singend und johlend über die Rudolf-Brun-Brücke und machten auf der Bahnhofstrasse einen langen Stop. An prominenter Stelle wurden an diesem Konsumsamstag Parolen geschrien und Flugblätter verteilt. Ein verkümmerter Weihnachtsbaum mit den Namen der angeprangerten staatlichen Institutionen wurde wie ein Böögg verbrannt, ein kleines Feuerwerk rundete schliesslich diesen Teil ab.

Die kümmerlichen Resten des Zuges liefen dann zurück in den Kreis 4. Etwa 50 AktivistInnen kamen noch bis zur Kaserne und ins heimatliche Aussersihl. Bei der Kaserne geriet noch so ein bescheuerter Neonazi in den Zug und fast zwischen die Fronten. Zum ersten und einzigen Mal während der ganzen Demo lag wirklich Gefahr in der Luft. Der Blödian wurde dann jedoch in Ruhe gelassen, Linke vergreifen sich offenbar selten am einzelnen Feind. Die Demo löste sich am Nachmittag auf, ohne dass etwas grösseres passiert war.

Fazit: die Antifa kann auch friedliche Demos machen. Sie ist sich offensichtlich im klaren, dass linke Gewalt nichts bringt, dass sie sich mit Ausschreitungen und Gewaltbereitschaft nur ins eigene Fleisch schneidet. Ueberhaupt war die Stimmung in der Demo gelöster, viel weniger agressiv als im Herbst. Vielmehr konnte fast von einer Volksfeststimmung gesprochen werden, abgesehen davon, dass man sich die Extremitäten abfror. Die Antifa hatte ihre Leute im Griff, niemand äusserte Gewaltbereitschaft, jeodoch war durchaus auch die Absicht da, mit den Sicherheitskräften ein bisschen Fangis zu spielen, was ja dann auch getan wurde. Etwas enttäuschend war der Auftritt der Uniformierten, sie setzten schon Tränengas und Wasserwerfer ein, ohne provoziert oder gar angegriffen zu werden. Die Taktik war klar: alles hört auf mein Kommando, ich bin der Chef hier! Die Abschreckung hat funktioniert, die DemonstrantInnen fügten sich der Gewalt und stoben auseinander. Man hatte aber auch bei der Polizei das Gefühl, dass sie nicht eigentlich auf Krieg aus war, es standen viele Beamte einfach so herum, zwischen den "Fronten" und sogar zwischen den Demonstrierenden. Polizeisprecher Bruno Kistler, selbst ein Kind des Kreises 4 übrigens, stand locker an der Ecke Lang-/Stauffacherstrasse und sprach mit aufgebrachten Leuten.

Beide Seiten bewiesen heute Disziplin. Die Antifa zeigte, dass sie auch friedlich ihre Forderungen durchsetzen kann, sie bewies Stärke durch ihre Mobilisierungskraft und provozierte die Polizei zum Spass in kleinere verbale Scharmützel. Diese Wortgefechte waren Ehrengeschäfte, kleine Kämpfe zweier Duellanten, die sich gar nicht verletzen möchten, sondern nur etwas Muskeln zeigen. Auch die Polizei spielte mit, sie fuhr zwar abrupt rein, der Angriff wurde aber nach ein paar Minuten abgebrochen. In der Folge betätigte sich die Polizei nur als Beobachterin und Verkehrsordnerin. Sie liess sich gar nicht auf den Kampf ein und garantierte damit einen problemlosen Ablauf dieser antifaschistischen Kundgebung. Sie hat trotz ihrer allgemeinen Begriffsstutzigkeit und Gewaltbereitschaft heute ein Röschen verdient. Und was das Ergebnis des Ringkampfes betrifft: Unentschieden nach Punkten, Sieg beider Parteien auf der ganzen Linie.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus der antifaschistischen Kundgebung in Zürich.