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Die Reise zur Swissair 111
Der Tag begann ja eigentlich ganz normal, ich war schon fast unterwegs zur
Arbeit. Da plötzlich ein Anruf von meinem Tageschef, eine Swissairmaschine
sei in Kanada abgestürzt. Die erste Reaktion war Unglauben, das kann, das
darf nicht passieren! Ich also mit einem Hui los, ich dachte noch so weit,
meinen Rucksack mit Unterwäsche und T-Shirts, sowie Pass und Zahnbpürste
mitzunehmen, bevor ich zum Flughafen düste, wo die Presse über diese grösste
Katastrophe der Schweizer Luftfahrtgeschichte informiert wurde. Die
Swissair bot uns dann auch überraschend mitfühlend einen Ueberflug an,
Ziel Halifax in Kanada, Abflug in einer Stunde.
Zusammen mit den KollegInnen sassen wir schon zwei Stunden später in
einem Airbus, der uns zusammen mit Swissairpersonal und dem Chef, Jeffery
Katz, rüberbringen sollte. Mir war unangenehm bei dem ganzen, die
Nachricht sass noch tief und ein solches "Abenteuer" war auch damit
verbunden, sich mit dieser Katastrophe menschlich auseinanderzusetzen.
Während des rund acht Stunden dauernden Fluges wurden wir Journis
gefliessentlich von allen Nachrichten ferngehalten, angeblich gab es
auf dem Airbus kein Telefon, auch die Leute der Airline beharrten darauf,
dass es keine News gäbe.
Auf dem kleinen Flughafen in Neuschottland angekommen wurden wir ohne
Umschweife durch die Passkontrolle gelotst, ich konnte selbst meinen
mitgebrachten Schnittplatz reinbringen. Und dann begann das Chaos, meine
Odyssee, die sich in rund einem Tag Herumirren manifestierte. Ich suchte
erstmal den Kontakt nach Hause. Das war nicht einfach, da die Phones meine
Karte nicht schluckten (es erwies sich, dass ich die Bedienung nicht gecheckt
hatte). Dann bemerkte ich, dass auf dem ganzen Airport weder die Möglichkeit
bestand, ein Natel zu mieten (meines lief ja bei diesem exotischen
Systemen dort nicht), noch innerhalb der nächsten Stunde (Schlange vor dem
einzigen Schalter) Geld zu wechseln. Die Leute dort waren ebenfalls
hoffnungslos überfordert.
Beim Versuch, mich auf meine Beine zu stellen, quatschte ich einen
einheimischen Kollegen an, der konnte mich zu seinem Arbeitgeber, der
Canadian Broadcasting Company CBC vermitteln. Leider bemerkten wir dann,
im CBC-Hauptquartier in Halifax angekommen, dass auch hier die Standarts
nicht übereintrafen, ich musste weitersuchen. Die einzigen, die mir
helfen konnten, waren die Jungs des Schweizer Fernsehens. Und die waren
mit sich selber beschäftigt. Nun stand ich da, in der Hoffnung, dass mir
irgendjemand aus der Bredouille helfen konnte. Bei uns zu Hause war
Nacht, alle schliefen. Gut, da haute ich die Kollegen der Konkurrenz an,
ob sie mich gegen Bezahlung mitnehmen würden. Nix is. Müde und in der
Hoffnung, durch Ruhe zu Ideen und Kräften zu kommen, zog ich mich zurück
in mein Hotelzimmer.
Halb sechs morgens Tagwache, ich packte meine Siebensachen und rief mir ein
sauteures Taxi (die waren dort alle sehr teuer). Jonathan, ein Bro, fuhr
mich Peggy's Cove, in jenes Dorf, das mit seinem malerischen Leuchtturm
zum Sinnbild all dessen geworden ist, was diese Katastrophe darstellt.
Dort angekommen versuchte ich abermals, in Kontakt zu kommen mit meinem
HQ in der Schweiz, diesmal scheiterte es daran, dass das Payphone im
Souwester, dem einzigen Restaurant vor Ort, leider nicht für
Auslandsgespräche geeignet und ein Rückruf bei so vielen wartenden
Journis unmöglich war. Abermals war ich gestrandet und kam nicht mehr ins
Meer.
Doch, das kam ich dann. Endlich gelang mal was, als ich nämlich so durch
das menschenleere und journalistenvolle Dorf zog, lief ich einem Fischer
über'n Weg, Terry. Der Seebär war einer der ersten gewesen, die mit dem
Schiff nach dem Unfall in See gestochen waren. Selbst Leichenteile hatten
er und sein Kumpel Jeff geborgen, diese Erfahrung nagte offensichtlich an
dem wettergegerbten Seemann. Jedenfalls kam ich zusammen mit vielen anderen
KollegInnen aus aller Welt auf sein Boot, er knöpfte uns für eine
halbstündige Fahrt rund 200 Dollar ab (210 Franken). Wenigstens wurden die
Aufnahmen etwas, das erste Mal seit meiner Ankunft in Kanada klappte mal
wirklich was.
O.K. Ich versuchte anschliessend, in Ruhe das Gedrehte im Restaurant zu
schneiden, diesmal klappte es nicht, weil der Schnittplatz unterdessen
durch die Luftfeuchtigkeit ziemlich angenässt war. Dann sprang ich wieder
weiter, per Taxi setzte ich Kurs auf den Flughafen, die Angehörigen
sollten ankommen. Das erste Mal realisierte ich dabei das Grauen, die
Tragweite dieser Katastrophe, das erste Mal bemerkte ich, wie schlimm
das alles war, wie die Menschen, seien es die Opfer oder ihre Angehörige,
leiden mussten. Trotzdem musste ich dort meinen Job tun, ich hielt die
Ankunft dieser Menschen fest, denen ich doch lieber die Hand geschüttelt
und mein aus ganzem Herzen empfundenes Beileid ausgedrückt hätte. Dabei
kam ich auch das allererste Mal mit der Frage in Konflikt, wieviel Gefühl
ich mir in meinem gefühllosen Job leisten darf.
Plötzlich war alles o.k., plötzlich klappte alles, ich konnte mir ein
Natel mieten (thanx for your help Mike!!!), ich ass das erste Mal wieder
was richtiges (im Pitta-Shop an der Hauptstrasse, ein neues Lokal geführt
von ein paar Jugendlichen), und ich konnte sogar schneiden, ein Wunder,
wenn man bedenkt, wie lange ich daran rumgemecht habe. Zugegeben, Edgar, der
Hotelelektriker hat mir geholfen, desgleichen Pat, der Mann aus dem Radio
Shack, der mir einen Adapter auftreiben konnte. Der Strom ist ja anders
downunder. So oder so war ich plötzlich in der Situation, dass ich einen
fertigen Beitrag in der Hand hatte und dieser sogar gar nicht so schlecht
war.
Der Abend war noch lang in Halifax. Anlässlich der ersten offiziellen
Pressekonferenz der Swissair, an die ich hinging, sah man das erste Mal
einen wirklich gebrochenen Jeff Katz, er hatte nicht nur viel Stress,
sondern auch eine Aussprache mit den angekommenen und im Hotel "Lord Nelson"
hermetisch abgeriegelten Angehörigen gehabt, eine Sitzung, die
denkbar emotional ablief und den sonst coolen und von vielen Geschäften
abgehärteten Amerikaner fast umgehauen haben soll. Kaum wieder zu Hause,
fiel mir ein, dass zu Hause morgen ist und ich mich endlich mal (wieder) bei
unserem Hausradio melden sollte, für das ich sozusagen auch dort war.
Ich schlief nach diesem Telefoninterview den Schlaf des Gerechten, am morgen
früh ging es dann wieder weiter nach Peggy's Cove. Dank der ungemeinen
Liebenswürdigkeit der Leute vom nationalen Fernsehen konnte ich sogar
(sic! und Halleluja!!!) meine Beiträge übermitteln, so dass sie sogar mal
in die Sendung kamen, es hatte geklaptt, trotz aller Improvisiererei
konnte ich meine Arbeit erledigen. Nun ja, nach einem kurzen Frühstück
kam ich vom grossen Glück wieder auf den Boden der traurigen Realität.
Gut abgeschirmt von Polizei und anderen Behörden kamen die Angehörigen der
Opfer in das malerische und sonst eigentlich schon fast paradiesische
Dörflein an der kanadischen Küste. Rund 300 JournalistInnen, die meisten
von den amerikanischen und kanadischen "This ist XY for Z-News"-Kanälen,
stürzten sich auf diese Menschen, die das schlimmste erlebt haben, was
man als Mensch erleben kann, den Verlust eines Liebsten. In solchen
Augenblicken habe ich selbst grosse Mühe, zwischen den Verpflichtungen
meines Jobs (den ich liebe) und meiner Pflicht, menschlich zu sein, zu
unterscheiden. Und auch hier: die Trauer, die überwältigende Andacht, die
diese Menschen erlebt und ausgestrahlt haben, hat auch mich ergriffen.
Ich hielt meine Tränen zurück, denn ich wusste, dass es nichts bringen
würde, ich müsste später trauern, zu Hause. Trotzdem war ich noch kaum
zuvor so ergriffen von einem Erlebnis. Der Leuchtturm bildete die
Kulisse zu einer menschlichen Tragödie. Die Angehörigen bedankten sich
bei den Helfern für ihre aufopferungsvolle Arbeit, sie warfen Blumen ins
Meer und legten Teddybären auf den einsamen Felsen vor Peggy's Cove.
Ihre Trauer war total. Und ich fühlte mit ihnen.
Irgendwann musste ich abbrechen, schnitt und packte meine Siebensachen
zusammen, leider konnte ich diesmal nicht mehr mit der Gnade des
Schweizer Fernsehens zählen. Der Beitrag konnte nicht mehr rübergebeamt
werden. In der Annahme, dass der Heimflug wie versprochen am Abend
war, lümmelte ich mich zum Taxistand. Leider war es fast unmöglich, ein
Taxi zu kriegen auf Peggy's Cove. Wahnsinn, nicht mal ein Phone brachte
was. Und dann bekam ich noch zu hören, dass der Flug in einer Stunde sei.
In einer Stunde, ich stand eine dreiviertel Stunde von Halifax entfernt,
na bravo. Die Swissair hat mir ein ziemliches Ei gelegt.
Trotzdem, Kämpfer wie ich bin, versuchte ich es. Ich konnte jemanden
finden, der mir weiterhalf, Donald hiess er glaube ich, hoffe ich, denn
er hat mein Natel mit dem Versprechen übernommen, es zurückzubringen.
Der Typ düste wie ein Besessener nach Halifax, von unterwegs schauten wir,
dass wir ein Taxi arrangieren konnten, aber leider ging das schief, obschon
ich dem Typen 50 Bucks hinlegte, dass er Gas gäbe, kam ich zu spät. Mein
Vogel war schon abgeflogen, ich war gestrandet. Und hatte plötzlich alle
Zeit der Welt. Leider, ich also wieder zurück ins Hotel, nachdem ich in Ruhe
gegessen und mich im Hotel wieder angemeldet habe.
Wieder zurück konnte ich sogar an die aktuellste Pressekonferenz der
Untersuchungsbehörden besuchen. Ich war unterdessen ganz tief unten
mit den Nerven, ich war halbtot davon, aber ich musste weitermachen, ganz
allein hier im Wilden Westen, müde und nicht mehr Herr meiner Kräfte.
Trotzdem zog ich nach der PK sogar rum und filmte ein paar Impressionen
dieser schönen Stadt. Halifax ist mit seinen Hüttenzeilen und seinen
Wolkenkratzern wirklich eine Reise wert. Ich stieg auf den Hügel mit der
Zitadelle, spät genug um von einem netten Wachmann zu hören, dass vor fünf
Minuten eine Open Air-Darbietung eines Shakespeare-Stückes begonnen hat.
Also blieb mir nichts anders übrig, als mir ein gutes Abendessen zu
genehmigen, kandischer Lachs. Extra günstig.
Mein Schlaf war tief und fest in dieser letzten Nacht, leider hatte ich
nichts anzuziehen dabei, sonst hätte ich mich in den Kraftraum oder in
die Sauna gewagt. Frühmorgens war mein Flieger nach Hause. Ich konnte ohne
weiteres durch, nur im Flugzeug wurde ich, da Journalist und auf dem
Shuttle der Angehörigen mit, etwas unnötig wie eine ansteckende Krankheit
behandelt, das brauche ich wirklich nicht. Auch in New York, wo ich einen
Zwischenstopp einlegen musste, war mit mir nicht wohler. Trotzdem konnte
ich mit einiger Mühe meine Koffer abladen und nach downtown Manhattan
fahren. Das war cool, ich in New York. Viel habe ich nicht gesehen, aber
was ich sah, Times Square, 42 nd Street und ein "mongolisches" Restaurant am
Braodway, das war lässig. Ich konnte sogar in Ruhe filmen.
Der Flug nach Hause in einem Swissair-Jumbo war, abgesehen vom Jetlag,
ziemlich nichtig und easy. Nur, als wir Halifax passierten, wurde mir
kurz mal mulmig. Sonst jedoch schloss ich das "Abenteuer" todmüde und
völlig fertig mit den Nerven ab, die Heimreise war nicht der Rede wert,
der Abschluss eines tragischen und eigentlich ach so sinnlosen Ausflugs.