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Peggy's Cove
10.9.1998

Die Reise zur Swissair 111

Der Tag begann ja eigentlich ganz normal, ich war schon fast unterwegs zur Arbeit. Da plötzlich ein Anruf von meinem Tageschef, eine Swissairmaschine sei in Kanada abgestürzt. Die erste Reaktion war Unglauben, das kann, das darf nicht passieren! Ich also mit einem Hui los, ich dachte noch so weit, meinen Rucksack mit Unterwäsche und T-Shirts, sowie Pass und Zahnbpürste mitzunehmen, bevor ich zum Flughafen düste, wo die Presse über diese grösste Katastrophe der Schweizer Luftfahrtgeschichte informiert wurde. Die Swissair bot uns dann auch überraschend mitfühlend einen Ueberflug an, Ziel Halifax in Kanada, Abflug in einer Stunde.

Peggy's Cove Medien Zusammen mit den KollegInnen sassen wir schon zwei Stunden später in einem Airbus, der uns zusammen mit Swissairpersonal und dem Chef, Jeffery Katz, rüberbringen sollte. Mir war unangenehm bei dem ganzen, die Nachricht sass noch tief und ein solches "Abenteuer" war auch damit verbunden, sich mit dieser Katastrophe menschlich auseinanderzusetzen. Während des rund acht Stunden dauernden Fluges wurden wir Journis gefliessentlich von allen Nachrichten ferngehalten, angeblich gab es auf dem Airbus kein Telefon, auch die Leute der Airline beharrten darauf, dass es keine News gäbe.

Auf dem kleinen Flughafen in Neuschottland angekommen wurden wir ohne Umschweife durch die Passkontrolle gelotst, ich konnte selbst meinen mitgebrachten Schnittplatz reinbringen. Und dann begann das Chaos, meine Odyssee, die sich in rund einem Tag Herumirren manifestierte. Ich suchte erstmal den Kontakt nach Hause. Das war nicht einfach, da die Phones meine Karte nicht schluckten (es erwies sich, dass ich die Bedienung nicht gecheckt hatte). Dann bemerkte ich, dass auf dem ganzen Airport weder die Möglichkeit bestand, ein Natel zu mieten (meines lief ja bei diesem exotischen Systemen dort nicht), noch innerhalb der nächsten Stunde (Schlange vor dem einzigen Schalter) Geld zu wechseln. Die Leute dort waren ebenfalls hoffnungslos überfordert.

Peggy's Cove Leuchtturm Meer Beim Versuch, mich auf meine Beine zu stellen, quatschte ich einen einheimischen Kollegen an, der konnte mich zu seinem Arbeitgeber, der Canadian Broadcasting Company CBC vermitteln. Leider bemerkten wir dann, im CBC-Hauptquartier in Halifax angekommen, dass auch hier die Standarts nicht übereintrafen, ich musste weitersuchen. Die einzigen, die mir helfen konnten, waren die Jungs des Schweizer Fernsehens. Und die waren mit sich selber beschäftigt. Nun stand ich da, in der Hoffnung, dass mir irgendjemand aus der Bredouille helfen konnte. Bei uns zu Hause war Nacht, alle schliefen. Gut, da haute ich die Kollegen der Konkurrenz an, ob sie mich gegen Bezahlung mitnehmen würden. Nix is. Müde und in der Hoffnung, durch Ruhe zu Ideen und Kräften zu kommen, zog ich mich zurück in mein Hotelzimmer.

Halb sechs morgens Tagwache, ich packte meine Siebensachen und rief mir ein sauteures Taxi (die waren dort alle sehr teuer). Jonathan, ein Bro, fuhr mich Peggy's Cove, in jenes Dorf, das mit seinem malerischen Leuchtturm zum Sinnbild all dessen geworden ist, was diese Katastrophe darstellt. Dort angekommen versuchte ich abermals, in Kontakt zu kommen mit meinem HQ in der Schweiz, diesmal scheiterte es daran, dass das Payphone im Souwester, dem einzigen Restaurant vor Ort, leider nicht für Auslandsgespräche geeignet und ein Rückruf bei so vielen wartenden Journis unmöglich war. Abermals war ich gestrandet und kam nicht mehr ins Meer.

Halifax Himmel Doch, das kam ich dann. Endlich gelang mal was, als ich nämlich so durch das menschenleere und journalistenvolle Dorf zog, lief ich einem Fischer über'n Weg, Terry. Der Seebär war einer der ersten gewesen, die mit dem Schiff nach dem Unfall in See gestochen waren. Selbst Leichenteile hatten er und sein Kumpel Jeff geborgen, diese Erfahrung nagte offensichtlich an dem wettergegerbten Seemann. Jedenfalls kam ich zusammen mit vielen anderen KollegInnen aus aller Welt auf sein Boot, er knöpfte uns für eine halbstündige Fahrt rund 200 Dollar ab (210 Franken). Wenigstens wurden die Aufnahmen etwas, das erste Mal seit meiner Ankunft in Kanada klappte mal wirklich was.

O.K. Ich versuchte anschliessend, in Ruhe das Gedrehte im Restaurant zu schneiden, diesmal klappte es nicht, weil der Schnittplatz unterdessen durch die Luftfeuchtigkeit ziemlich angenässt war. Dann sprang ich wieder weiter, per Taxi setzte ich Kurs auf den Flughafen, die Angehörigen sollten ankommen. Das erste Mal realisierte ich dabei das Grauen, die Tragweite dieser Katastrophe, das erste Mal bemerkte ich, wie schlimm das alles war, wie die Menschen, seien es die Opfer oder ihre Angehörige, leiden mussten. Trotzdem musste ich dort meinen Job tun, ich hielt die Ankunft dieser Menschen fest, denen ich doch lieber die Hand geschüttelt und mein aus ganzem Herzen empfundenes Beileid ausgedrückt hätte. Dabei kam ich auch das allererste Mal mit der Frage in Konflikt, wieviel Gefühl ich mir in meinem gefühllosen Job leisten darf.

Peggy's Cove Leuchtturm Licht Plötzlich war alles o.k., plötzlich klappte alles, ich konnte mir ein Natel mieten (thanx for your help Mike!!!), ich ass das erste Mal wieder was richtiges (im Pitta-Shop an der Hauptstrasse, ein neues Lokal geführt von ein paar Jugendlichen), und ich konnte sogar schneiden, ein Wunder, wenn man bedenkt, wie lange ich daran rumgemecht habe. Zugegeben, Edgar, der Hotelelektriker hat mir geholfen, desgleichen Pat, der Mann aus dem Radio Shack, der mir einen Adapter auftreiben konnte. Der Strom ist ja anders downunder. So oder so war ich plötzlich in der Situation, dass ich einen fertigen Beitrag in der Hand hatte und dieser sogar gar nicht so schlecht war.

Der Abend war noch lang in Halifax. Anlässlich der ersten offiziellen Pressekonferenz der Swissair, an die ich hinging, sah man das erste Mal einen wirklich gebrochenen Jeff Katz, er hatte nicht nur viel Stress, sondern auch eine Aussprache mit den angekommenen und im Hotel "Lord Nelson" hermetisch abgeriegelten Angehörigen gehabt, eine Sitzung, die denkbar emotional ablief und den sonst coolen und von vielen Geschäften abgehärteten Amerikaner fast umgehauen haben soll. Kaum wieder zu Hause, fiel mir ein, dass zu Hause morgen ist und ich mich endlich mal (wieder) bei unserem Hausradio melden sollte, für das ich sozusagen auch dort war.

Peggy's Cove Ortseinfahrt Ich schlief nach diesem Telefoninterview den Schlaf des Gerechten, am morgen früh ging es dann wieder weiter nach Peggy's Cove. Dank der ungemeinen Liebenswürdigkeit der Leute vom nationalen Fernsehen konnte ich sogar (sic! und Halleluja!!!) meine Beiträge übermitteln, so dass sie sogar mal in die Sendung kamen, es hatte geklaptt, trotz aller Improvisiererei konnte ich meine Arbeit erledigen. Nun ja, nach einem kurzen Frühstück kam ich vom grossen Glück wieder auf den Boden der traurigen Realität.

Gut abgeschirmt von Polizei und anderen Behörden kamen die Angehörigen der Opfer in das malerische und sonst eigentlich schon fast paradiesische Dörflein an der kanadischen Küste. Rund 300 JournalistInnen, die meisten von den amerikanischen und kanadischen "This ist XY for Z-News"-Kanälen, stürzten sich auf diese Menschen, die das schlimmste erlebt haben, was man als Mensch erleben kann, den Verlust eines Liebsten. In solchen Augenblicken habe ich selbst grosse Mühe, zwischen den Verpflichtungen meines Jobs (den ich liebe) und meiner Pflicht, menschlich zu sein, zu unterscheiden. Und auch hier: die Trauer, die überwältigende Andacht, die diese Menschen erlebt und ausgestrahlt haben, hat auch mich ergriffen.

Peggy's Cove Ortstafel Ich hielt meine Tränen zurück, denn ich wusste, dass es nichts bringen würde, ich müsste später trauern, zu Hause. Trotzdem war ich noch kaum zuvor so ergriffen von einem Erlebnis. Der Leuchtturm bildete die Kulisse zu einer menschlichen Tragödie. Die Angehörigen bedankten sich bei den Helfern für ihre aufopferungsvolle Arbeit, sie warfen Blumen ins Meer und legten Teddybären auf den einsamen Felsen vor Peggy's Cove. Ihre Trauer war total. Und ich fühlte mit ihnen.

Irgendwann musste ich abbrechen, schnitt und packte meine Siebensachen zusammen, leider konnte ich diesmal nicht mehr mit der Gnade des Schweizer Fernsehens zählen. Der Beitrag konnte nicht mehr rübergebeamt werden. In der Annahme, dass der Heimflug wie versprochen am Abend war, lümmelte ich mich zum Taxistand. Leider war es fast unmöglich, ein Taxi zu kriegen auf Peggy's Cove. Wahnsinn, nicht mal ein Phone brachte was. Und dann bekam ich noch zu hören, dass der Flug in einer Stunde sei. In einer Stunde, ich stand eine dreiviertel Stunde von Halifax entfernt, na bravo. Die Swissair hat mir ein ziemliches Ei gelegt.

Trotzdem, Kämpfer wie ich bin, versuchte ich es. Ich konnte jemanden finden, der mir weiterhalf, Donald hiess er glaube ich, hoffe ich, denn er hat mein Natel mit dem Versprechen übernommen, es zurückzubringen. Der Typ düste wie ein Besessener nach Halifax, von unterwegs schauten wir, dass wir ein Taxi arrangieren konnten, aber leider ging das schief, obschon ich dem Typen 50 Bucks hinlegte, dass er Gas gäbe, kam ich zu spät. Mein Vogel war schon abgeflogen, ich war gestrandet. Und hatte plötzlich alle Zeit der Welt. Leider, ich also wieder zurück ins Hotel, nachdem ich in Ruhe gegessen und mich im Hotel wieder angemeldet habe.

Wildcat in New York Wieder zurück konnte ich sogar an die aktuellste Pressekonferenz der Untersuchungsbehörden besuchen. Ich war unterdessen ganz tief unten mit den Nerven, ich war halbtot davon, aber ich musste weitermachen, ganz allein hier im Wilden Westen, müde und nicht mehr Herr meiner Kräfte. Trotzdem zog ich nach der PK sogar rum und filmte ein paar Impressionen dieser schönen Stadt. Halifax ist mit seinen Hüttenzeilen und seinen Wolkenkratzern wirklich eine Reise wert. Ich stieg auf den Hügel mit der Zitadelle, spät genug um von einem netten Wachmann zu hören, dass vor fünf Minuten eine Open Air-Darbietung eines Shakespeare-Stückes begonnen hat. Also blieb mir nichts anders übrig, als mir ein gutes Abendessen zu genehmigen, kandischer Lachs. Extra günstig.

Mein Schlaf war tief und fest in dieser letzten Nacht, leider hatte ich nichts anzuziehen dabei, sonst hätte ich mich in den Kraftraum oder in die Sauna gewagt. Frühmorgens war mein Flieger nach Hause. Ich konnte ohne weiteres durch, nur im Flugzeug wurde ich, da Journalist und auf dem Shuttle der Angehörigen mit, etwas unnötig wie eine ansteckende Krankheit behandelt, das brauche ich wirklich nicht. Auch in New York, wo ich einen Zwischenstopp einlegen musste, war mit mir nicht wohler. Trotzdem konnte ich mit einiger Mühe meine Koffer abladen und nach downtown Manhattan fahren. Das war cool, ich in New York. Viel habe ich nicht gesehen, aber was ich sah, Times Square, 42 nd Street und ein "mongolisches" Restaurant am Braodway, das war lässig. Ich konnte sogar in Ruhe filmen.

Der Flug nach Hause in einem Swissair-Jumbo war, abgesehen vom Jetlag, ziemlich nichtig und easy. Nur, als wir Halifax passierten, wurde mir kurz mal mulmig. Sonst jedoch schloss ich das "Abenteuer" todmüde und völlig fertig mit den Nerven ab, die Heimreise war nicht der Rede wert, der Abschluss eines tragischen und eigentlich ach so sinnlosen Ausflugs.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) (überarbeitet, genervt und müde kam ich heim)