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Zürich
22.5.1996

Allerlei

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Die Privat-Armee

Wolfgang Borchert Fanclub

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Billige Lautsprecher

SBB präsentiert Gleis 7

Flugzeuge werden Casinos

Schwindel um Weltrekordversuch

Aidstag

Gleichstellungsbroschüre

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Wir haben unversehens wieder Sauregurkenzeit. Macht nichts, das gibt uns die Gelegenheit, mal etwas aus der Distanz ein Sujet zu verfolgen, das kein eigentliches Hailait ist, sondern nur "irgendwie amüsant", das Bündner Medientheater nämlich. Der Verkehrsverein des Steinbockkantons kam extra herab ins tiefste Unterland, um Zürich das (Ferien)Heil zu bringen. Was das Bünden uns ZürcherInnen zu bieten hat, wurde einer erlesenen Auswahl von zugewandten JournalistInnen vor Augen und Ohren geführt, in einem Zelt mitten im Landesmuseum, das, einige von Euch werden das wissen, ja in Zürich steht. Und da der Autor vom Bergsteigervirus befallen ist, quälte er sich durch den Zürcher Vorabendverkehr, um sich DAS anzusehen.

6.2% Rückgang bei den Logiernächten im Steinbockkanton hat beim Verkehrsverein die Alarmglocken ausgelöst. Man wolle die Gäste nun abholen, wo sie sind, umriss dann auch der Direktor des Bündner Verkehrsvereins, Christian Durisch, die strategischen Absichten seiner Organisation. Denn unter den Stammgästen sind die ZürcherInnen die Nummer 1, sehr viele haben im Oberland ein Ferienhäuschen und haben sich dort jeweils quasi eine zweite Heimat aufgebaut, deshalb sind sie dem Bündner Tourismus auch besonders wichtig. Und deshalb startete der Verkehrsverein auch diesen Propagandafeldzug ausgerechnet in Zürich, im Hof des Landesmuseums. An Zürich selbst gefalle ihm als Bergler vor allem der See, meinte Durisch, der enge Verbindungen zu Zürich Tourismus hat und als Bündner durchaus auch in unseren Verkehrsverein passen würde.

An dieser Veranstaltung wurden für Kinder Maultierritte (sogenannte Trekkings) und für die Erwachsenen Bündner Wein samt den dazugehörigen Delikatessen angeboten. Im Vordergrund des sogenannten "Bündner Medientheaters" aber standen die Auftritte der Verkehrsdirektoren der 12 im VV GR zusammengeschlossenen Ferienorte. Entweder im bourgeois-klassischen Frack oder in trendy-jugendlichen In-Line-Skates machten die oft nicht mehr jungen örtlichen Propagandachefs den potentiellen Gästen aus dem Unterland ihre Auftraggeber schmackhaft, zum Teil im sympathisch-klaren Bündnerdeutsch, zum Teil im langgezogenen Jargon unserer Berner Mitbürger. Die meisten Auftritte waren leider zu sehr improvsiert und grenzten ans Lächerliche, aber es war faszinierend mitanzusehen, was man nicht alles machen kann, um für ein Produkt zu werben.

Einige der Auftretenden hielten sich noch ganz wacker und konnten die Gäste nicht nur vom Ort überzeugen, sondern auch von ihren schauspielerischen Kenntnissen. Die Profis waren allerdings auch dabei. Ganz eingedenk der Bündner Kleinbühnentradition zeigten drei der bekanntesten Wanderbühnen Ausschnitte ihrer Kunst. Immerhin soll neben dem allenthalben auftretenden Leitmotiv Sport auch die Kultur ein tragender Pfeiler des Angebotes an den zahlenden Gast sein.

Im Zentrum des Bündner Sommers 1996 stehen Höhepunkte wie Mountainbikig, Inlineskating, Wandern, Reittiertrekkings, Festivals und viel freies Theater (wo bleibt das Klettern?). Auch wichtig ist den Kurdirektoren dieses Jahr Wasser und Wellness (wieso eigentlich?). An der Veranstaltung und der beiligenden Pressemappe wurde den Anwesenden die grossen Vorzüge des Kantons gezeigt. Besonders aufregend sind dabei die 10'500 Kilometer an Wanderwegen, die kreuz und quer durch den Kanton führen. Aufregend wäre sie schon, die hundert Kilometer lange Strecke Senda Sursilvana. Und was das Angebot betrifft: das hat man untereinander nach strategischen Kritiereien aufgeteilt. Ueberhaupt war alles zu sehr durchorganisiert, man hatte das Gefühl, dass hier nach marktforscherischen Kriterien jedem Feriengast das Angebot seiner Wahl fast aufgezwungen wird. Es gibt nichts, was nicht genau durchorganisiert ist, auf dass mensch möglichst edel sein Geld liegen lässt.

Das Engadiner Hochtal hat ihre Konzertwochen anzubieten, die Alpkäserei Morteratsch bei Pontresina, das Motta Naluns-Open Air auf 2150 Höhenmetern bei Scuol und das 125-Jahrjubiläum des Pontresiner Bergführervereins am 6./7. Juli, wo das Bergsteigen geradezu zelebriert werden soll. Bergün/Madruns glänzt vor allem mit den phantastischen Zugsfahrten in der langsamen RhB "durch Kehrtunnels, Galerien und über turmhafte Viadukte". Wie heisst es doch so schön: der/die Kluge fährt im Zuge. Auch die Kantonshauptstadt ist vertreten in diesem Reigen. Was ich nicht gewusst hatte: Kuuur ist die älteste Schweizer Stadt mit über 5000 Jahren Siedlungsgeschichte, ist doch auch was, oder? Daneben gibt es Ende Juni ein Jazzfestival, Märkte mit lokalen und regionalen Köstlichkeiten und halt die zentrale Lage des Hauptortes. Von hier aus fahren die wichtigsten Züge gen Berge (z.B. die Glacier- und Berninaexpresse), starten die wichtigsten Wanderwege, und von hier aus mietet mensch sich auch Bikes für ausgedehnte Touren. Ganz zu schweigen davon, dass die Kapitale natürlich auch viele Freizeitmöglichkeiten aufweist (Stichwort Ausgang).

Flims/Laax/Falera, unter WebuserInnen besser bekannt als die Weisse Arena, trumpft mit verschiedensten kulturell wertvollen oder weniger wertvollen Veranstaltungen auf. Daneben gibt es Mitte Juli eine Berg-Chilbi auf dem Foppa, und gleichzeitig findet der Swiss Alpine Triathlon statt. Schliesslich übernimmt Klosters die BergsteigerInnen und bietet diesen den 3312m-hohen Piz Buin an (Sonnencreme sollte mitgenommen werden). Wer nicht so geübt ist, sollte mal den Felserlebnisgarten von Madrisa kennenlernen. Und wer noch immer nicht genug hat, dem bietet sich die Möglichkeit eines Kanutrips durch die Viamalaschlucht.

Verkehrsdirex Durisch gibt zu, dass wir Jugendliche das eigentliche strategische Problem seien. Zwar würde von ihrer Seite aus ungeheuer viel gemacht für uns, wie Sport- oder Ausgangsmöglichkeiten, aber trotzdem sei das Ergebnis ernüchternd. Das klang so, als ob er überrascht sei, dass wir Jungen uns nicht einfach fertige und bis ins Detail vorbereitete kommerzielle Freizeit- und Sportangebote aus dem Bilderbuch vorwerfen lassen. Mit wohlorganisierter Beweglichkeit und Sportlichkeit ist es halt nicht getan. Wenn wir Animation und Clubferien all inclusive wollen, gehen wir sicher nicht ins Bündnerland, wo es auch andere Möglichkeiten gäbe. Ibiza ist hier eher denkbar. Das "multioptionale Angebot", wie sich Durisch ausdrückte, passt doch eher zu Familien, die nichts ausgefallenes wollen, sondern einfach nur Ferien machen. Durisch hofft, dass mit Musik und Spektakel neben den traditionellen Familienabgeboten auch ein Mit- und Nebeneinander von jung und alt erreicht werden kann. Und die Jugend ist halt eben noch der letzte "Rescht vom Chuachä", den es anzusprechen gibt.

Uebrigens war auch GC-Präsi Karl Oberholzer an dieser Veranstaltung. Weshalb? Weil er der Chef des OKs ist, das das Sportival in Zürich organisiert. Und weil das Graubünden während des integrierten Limmatschwimmens im Zürcher Landesmuseum Gastrecht geniesst, um der Bevölkerung der zweitgrössten Bündner und der grössten romanischsprechenden Stadt der Schweiz die Vorzüge dieses Kantons zu zeigen, ich meine jetzt vor allem kulinarische oder sportliche (wie einen MB-Parcours, einen Riverraftingplausch, ein Bündner Zeltdorf mit vielen Knellen oder einen Snowboard-Simulator) und nicht die allseits bekannte St. Moritzer Velofahrerin Laetitia.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Landesmuseum