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Lydia, the tatooed Lady
Hammer Joe ist der Archetyp eines stereotypen Tätowierten: ein abgefuckt
wirkender, langhaariger, nicht besonders attraktiver, eine Hells-Angels-Kluft
tragender und immer etwas belämmert wirkender Show-Mann. Seine Tatoo-Bude liegt
an der Brauerstrasse 4, mitten im "verrufenen" Kreis 4. Er hatte die
Tatoo-Gemeinde Europas ins Zürcher Schützenhaus Albisgüetli zu einem Treffen,
einer Convention gerufen. Und sehr viele kamen, trotz des miesen Wetters. Mensch
war "unter sich" im Schützenhaus, das war sofort klar. Tatooes, Tätowierungen,
also kunstvoll unter die Lederhaut gespritzte Farbe, sind schon seit
Jahrhunderten, ja Jahrtausenden, begehrte Schmuckstücke, vor allem von indigenen
Völkern. Bei den Maori haben sie verschiedene rituelle Bedeutungen, bei anderen
Indianervölkern bedeutet ein Tatoo so etwas wie eine Initiation. Und bei uns im
Westen ein freches und cooles Zeichen von individueller Egozentrik.
Tätowierungen waren für unsere Väter und Mütter der Inbegriff für halbstarke
Prolos, harte Jungs, die mittels Motorrad und Gewalt die Freiheit ausleben
wollten. Martialische Motive zeichneten die ganz Wilden aus, ein typisches
Potenzsymbol der 50er- bis 70erGenerationen. Doch die Zeiten haben sich
geändert. Nach der Zeit der sozialen Autoemanzipation begann in den ausgehenden
Achtzigerjahren die Aera des Hedonismus, des Extremindividualismus der
Generationen X bis Z. Tatsächlich wurden Tätowierungen in den letzten Jahren
salonfähig - und eine Kunst. Nicht nur junge Frauen fanden in der Jahrhunderte
alten Technik eine neue Art von (Körper)Schmuck, auch die jungen Männer der
neuen Yuppie- und Ego-Generation "verschönern" ihren Body nicht mehr nur mittels
Kraftmaschine.
Der 28 jährige Tätowierer Heiko stellt fest, dass in den letzten Jahren junge
Menschen aus allen Schichten und Traditionen auf den Geschmack von Tatooes
gekommen sind. Es sei kein eigentlich Revival, sondern eine soziale
Verbreiterung, die Akzeptanz sei grösser geworden. In unseren Worten: es ist
ganz normal geworden, dass eine süsse Studentin eine süsse kleine Rose auf dem
süssen Oberschenkel trägt. Kein Wunder also, dass sich an der 2. Zürcher
Tatoo-Convention im Schützenhaus Albisgüetli Krethi und Plethi zu einem Stell-,
resp. Tätowierdichein(en) traf. Zwei Tage lang stellten KünstlerInnen und andere
Insider aus der Tatoo- und der mit ihr verwandten Piercingbranche ihre Produkte
einem interessierten Publikum aus. Besser gesagt produzierten sie auch. Wer
wollte, konnte sich ein Tatoo verpassen lassen. Und die Auswahl war riesig, über
20 "Firmen" aus dem (vor allem westlichen) In- und dem (näheren) Ausland waren
dem Ruf des Organisators Hammer Joe gefolgt.
Es war ein sympathisches Chaos vorhanden, Kitsch an der Tagesordnung und das
Publikum auf eine amüsante Art gemischt. Auf verschiedenen Ständen wurde Plunder
aller Art verkauft, T-Shirts und Töffmode, Schmuck, Pfeifen, Pierces und
sonstiger Kitsch aus Easyrider- und Hedonistenkreisen. Das Ich herrschte vor,
ein Grossteil des Publikums, ob jung oder alt, kam aus der egozentrischen "Hey,
Mann, hey, bin ich cool hey"-Szene. Auffallen heisst ja die Devise der
sexualisierten Neunzigerjahre, je mehr das Individuum auffällt, desto grösser
ist sein Selbstwertgefühl und seine Chancen auf einem intellektuell geschwächten
Markt. Und Tatooes sind auffällig, wie klein sie auch immer sind. Insofern
passen sie in diese Zeit des extremen Individualismus. Der künstlerische Wert
dieser Tatooes wird immer grösser, nicht mehr grobe Gewaltsujets sind gefragt -
obschon gerade in den faschistoiden Rockerkreisen gewalttätige Szenen verbreitet
sind. Es hatte viele süsse kleine Sujets, auf den ungewöhnlichsten Körperteilen.
Ganz dem Bauchfreitrend entsprechend liessen sich etliche Schönheiten auf dem
Bauch tätowieren - obschon es sich fragt, was sie mal machen, wenn sie mal alt
und verschrumpfelt sind. Schön wars jedenfalls.
Etwas weniger schön war der Grossteil des Publikums. Ganz auffallend ist, dass
gerade in der eigentlich der Aethetik frönenden Tatoo-Szene richtig "attraktive"
Männer und Frauen ganz dünn gesät sind. Die meisten sind potthässlich und weisen
als einzige "Schönheit" wirklich nur noch ihre Tatooes aus. Wieso das so ist,
entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher ein Faktor ist die Tatssache, dass sich
zwar Menschen aus vielen Schichten tätowieren lassen, dass aber der harte Kern
der Tatoo-Bewegung aus den "klassischen" Tatoo-Kreisen, also zum Teil degoutant
abgefuckten Prolos, besteht, junge und alte Möchtegerns, die der
perfektionistischen Welt ihre abgrundtiefe Hässlichkeit entgegenstellen, so wie
Grufties und Punks. Und sie kamen mit Kind und Kegel, was dem Treffen etwas fast
absurdes gab.
Die Frage, warum mensch sich tätowieren lässt, hören Tätowierte oft und sehr
ungern. Denn in unseren Augen ist ein Tatoo ein "bleibender Schaden". Heiko, der
sich vor zehn Jahren im zarten Alter von 18 Jahren das erste Mal tätowieren
liess, erzählte über seine Beweggründe:"Ich weiss es schon gar nicht mehr. Ich
wollte vielleicht einfach etwas haben, was nicht jeder hat... und anders sein;
wenn man jung ist, dann möchte man anders sein." Mit 22 machte er dann sein
erstes Tatoo, eine Blume. Eine Herausforderung seien sicher Portraits, meinte
er, das sei technisch ziemlich schwierig. Und teuer. Für ein grosses,
kompliziertes Sujet müsste der Interessierte 1000 Franken bezahlen. "Es ist
schon wichtig, das man sich Gedanken darüber macht, dass man etwas wirklich
zeitloses nehmen sollte und nicht unbedingt den Namen der Geliebten tätowieren
lassen, so ein Tatoo hält bestimmt länger als eine Beziehung." Zumindest das mit
der Geliebten kann ich leider nur bestätigen.
Die Entscheidung für ein Motiv käme meistens sehr spontan, meinte Heiko. Ein
Beleg dafür sind die verschiedenen Ordner mit Vorlagen an jedem Stand. Das ist
wohl auch eine Charakterfrage, denn der Autor dieses Berichtes würde das nicht
einfach so tun, er würde ein sehr bestimmtes und lange im voraus geplantes Sujet
nehmen (z.B. einen Smiley mit Hammer und Sichel in der geballten Faust....). "Es
sind dann so Dinge, die einem passiert sind, die einen beeinflusst haben,
Geschichten aus dem Leben", umschrieb Heiko diese spontanen Gründe. "Es ist
heute nicht mehr anrüchig, tätowiert zu sein, sondern eher chic. Es gibt in
allen Gesellschaftsschichten Menschen, die sich tätowieren lassen", wiederholte
er schliesslich. "Wir haben in unserer Klientel Doktoren, Angestellte, alles
mögliche. Ganz normale Menschen einfach." Das schrägste Tatoo seiner Laufbahn,
meinte er, sei ein Hanfsamen gewesen, "aber einen übergrosser, mit einem
Gesicht. Man kann auf den ersen Blick gar nicht erkennen, was es darstellen
soll. Das ist schon komisch."
Ueberhaupt ist Tätowieren eine sehr persönliche Angelegenheit, in vielen
Broschüren wird dem oder der Interessierten nahegelegt, sich seineN oder ihreN
TätowiererIn auszusuchen, wie wenn es eine Wohnung sei. Hygieniefragen müssen
dabei im Vordergrund stehen, also auch die Vertrauenswürdigkeit des oder der
KünstlerIn. Der Vorgang des Tätowierens ist ein langwieriger, ja fast ritueller
Vorgang, wobei immer auf die Hygiene und das Wohl des "Opfers" geachtet wird.
Zuerst wird das Sujet lang und breit ausgesucht. Dann wird die Körperstelle mit
der zukünftigen Verschönerung gereinigt, rasiert und desinfiziert. Vaseline auf
der Haut vereinfacht den Tätowiervorgang und lindert auch etwas den Schmerz. Das
Sujet wird dann entweder zuerst abgepaust auf die Haut oder "free hand"
auftätowiert. Dabei verwendet mensch immer Einwegmaterial, das Zeitalter von
Aids ging auch an der Tatooszene nicht folglos "vorbei". Immer wieder wird die
Farbe und das Blut abgetupft, bis dann - zum Teil Stunden später - das Kunstwerk
auf dem menschlichen Körper fertig ist.
Kunstwerke werden oft prämiert, so auch an dieser Convention. In acht
verschiedenen Kategorien wurden Preise vergeben an die besten Sujets und somit
auch an die besten KünstlerInnen dieser Convention. Hier wurde es
offensichtlich, wie abgeschlossen diese Szene ist. Wer sich nicht auskannte, kam
bei diesem Wettbewerb nicht nach. Ein Meisterwerk nach dem anderen wurde einer
Jury, dann dem Publikum gezeigt, zum Teil an den unmöglichsten Körperpartien. Je
nach "Model" konnte das allerdings sehr anregend sein. Den Newcomerpreis erhielt
Harry, tätowiert von Baldwin. Die Jury musste es wissen, der Autor kann sich eh
kein Urteil darüber bilden.
Tatooes sind eine uns ziemlich fremde und aber faszinierende Welt, die es zu
erforschen gilt. So ein kleines Teil kann wirklich noch ganz amüsant wirken,
wenn mensch etwas damit aussagen will. Der Autor sucht also hiermit ein Sujet,
das zu ihm passt, zum Beispiel eben einen Smiley mit Hammer und Sichel.
Vorschläge sind per Mail erbeten.
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