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Winterthur
12.5.1996

Musicals

Keep Cool

Phantomgeburtstag

Anatevka

Rocky Horror Show

Evita

Phantom der Oper

A Chorus Line

Manche mögens heiss

Holiday on Ice

Der Geiger auf dem Dach

"Wenn ich einma reich bin/If I was a rich man" und "Tradition" sind vielen von uns ein Begriff. Diese Lieder haben wir im dreistündigen 1972er Kinohit "Anatevka" mit einem begnadeten Topol als Tevje doch schon gehört. Aber das Musical wurde schon acht Jahre vorher auf dem Broadway uraufgeführt, nach einem Stück von Tony-Preisträger Jerry Bock. Nur kurz darauf kam die deutsche Bühnenfassung heraus, auf der auch die Uebersetzung des Filmes gründet. Anatevka ist die Geschichte eines Dorfes, das es nicht mehr gibt - schon gar nicht in dieser Form. Anatevka ist eine ukrainische Stadt aus dem Beginn unseres Jahrhunderts, ein Dorf mit einer jüdischen Mehrheit, ein Schtetl also. Somit ist dieses Musical ein Dokument einer Gesellschaft, die Geschichte ist, spätestens seit dem Anstreicher Hitler.

Das Schtetl Anatevka und die Menschen darin leben nach fest umrissenen Gesetzen und Traditionen, so auch der bauernschlaue und auf seine eigene Art weise Milchmann Tevje. Er führt seine sechsköpfige Familie in Gottesfurcht und etwas Gotteshader durch eine sich wandelnde Zeit. Tempora mutantur, auch für Anatevka. Die jahrhundertealten jüdischen Traditionen werden immer mehr aufgeweicht und von aussen geändert, mit diesem Problem hat auch der an sich gutmütige und bequeme Tevje zu kämpfen. Mit seinen (gefälschten) Bibelsprüchen, seinem Witz und seinem grossen Herz ist er derjenige in Anatevka, der bereit ist, sich dem Neuen zu stellen. Muss er auch, denn nacheinander verlassen drei seiner fünf süssen Töchter das Elternhaus. Zuerst Zeitel, die nach allen Traditionen den Schneider Mottel heiratet, ausser dass sie als erste die Heiratsvermittlerin Yente links liegen lässt. Das ginge ja ohne weiteres, sie lieben sich. Die zweite, Hoddel, nimmt den wirren Revoluzzer Pertschik zum Manne, auch wenn sie ihm ins sibirische Exil nachreisen muss. Sie lieben sich und bekommen den Segen des grossherzigen Patriarchen. Schliesslich aber heiratet die dritte, die hübsche Chavva, den Russen Fedja. Und das bricht sogar Tevje das Herz. Die Zeiten ändern sich, und die Juden und Jüdinnen von Anatevka müssen am Schluss ihre Heimat in Richtung Amerika verlassen.

Eigentlich ist es unnötig, die Geschichte von "Anatevka-The Fiddler on the Roof" zu erzählen, wir kennen sie ja eh alle. Im Winterthurer Theater am Stadtgarten spielten das Bieler Musiktheater und allen voran Edwin Fabian als Tevje ihre Rollen routiniert und überzeugend. Routine ist wohl auch der treffende Begriff zur Leistung des Orchesters, der Tänzer und des nicht in Begeisterung gefallenen Premierenpublikums. Die Truppe hielt sich 1:1 und wortwörtlich nach der Vorlage von Jerry Bock und der deutschen Fassung. Die einzige Ausnahme und den theatralischen Höhepunkt bildete die Traumszene, wo mensch in die Trickkiste mit Masken, UV-Licht und Stabpuppen gegriffen hat. Sonst hatte das Stück keine Haken und Oesen und war einfach nur drei Stunden geballte Unterhaltung. Tragödie, Drama und (jüdischer) Humor verschmolzen zu einer überzeugenden Einheit, die wehklagende ostjüdische Musik mit Geige und Klarinette liess das Publikum dahinschmelzen wie Smarties.

Anatevka ist sicher eines der grossen Hits des ablaufenden Jahres für das Winterthurer Stadttheater, denn hier bläst der Wind der grossen weiten Welt und der Geschichte in die Eulachstadt, hier aufersteht eine Welt aus der Asche, die in ihrer ganzen Fremdheit doch so fasziniered ist. Und eben: unterhaltsam war es auch noch. Anatevka -oder mit dem Zwischentitel The Fiddler on the Roof/Der Geiger auf dem Dach - ist ein Tip für alle, wenn nicht im Theater, dann doch im TV oder in der Kinoreprise.

Die Höhepunkte im Nachsaison-Programm des Theaters am Stadtgarten

"Les enfants terribles" von Glass/Marshall (24. Mai) Ballett- und Bewegungsschule Liba Borak: "Flower Power" - Tanz Show (8. und 9. Juni)
4. Extrakonzert des Musikkollegiums Winterthur (15. und 16. Juni)
Papageno spielt auf der Zauberflöte (28. Juni und 3. Juli)


Für Biwidus: Wildcat (EMail) vom Theater am Stadtgarten Winterthur