|
Allerlei
Bildertorten
Die Privat-Armee
Wolfgang Borchert Fanclub
Süsser Anschlag auf Gates
Zähneputzenrekord
Billige Lautsprecher
SBB präsentiert Gleis 7
Flugzeuge werden Casinos
Schwindel um Weltrekordversuch
Aidstag
Gleichstellungsbroschüre
Bussenbilanz
Schweizer _InterbrigadistInnen
Clit care
Femintim
Europafest
Polybahn
Graubünden
Neu-alte Nationalhymne
Kinderfotos
Frauen in Militär
|
|
Viel Lärm um nichts, gar nichts
Gut gebrüllt, Löwe, muss ich dazu sagen. Was in Winterthur an diesem schönen
Donnerstag mittag ablief, war eigentlich ein gröberer Witz, den sich die
Kulturstadt meines Erachtens fast nicht leisten kann. Und zwar will "man"
unserer durch Gesellschafts- und Wirtschaftskrise zerrütteten Nation eine neue
Nationalhymne schenken. Falsch. Es ist eigentlich ja die alte Hymne, eben der
"Schweizerpsalm" ("Trittst im Waffenrock daher, in der Hand das
Sturmgewehr..."), aber das ganze wurde sozusagen kosmetisch aufgepäppelt. Der
Hymne von Zwyssig wurde eine Verjüngungskur verpasst. Oder, wie es der an der
Vorstellung anwesende Stadtrat Ernst Wohlwend so treffend formuliert hatte,
Bestandenes wurde aufpoliert wiedergegeben. However. Es war ein Schuss in den
Ofen.
Hierzu muss etwas vorgegriffen werden. Die bestehende "Nationalhymne" wurde erst
Anfangs der Achtzigerjahre offiziell zur solchen erklärt. Vorher sang jedeR, was
er oder sie wollte. Sei es die deutschsprachige Version des "God save the King",
oder sei es auch der 1961 zur provisorischen Hymne ernannte "Schweizerpsalm",
einmal mehr konnte sich unsere Nation nicht entscheiden und vollzog einen
typisch schweizerischen Kompromiss, eben dieses Nebenher verschiedener Hymnen.
Als ob das nicht genug wäre, kam 1965 ein wohl etwas gar visionärer Winterthurer
auf die Idee, noch eine Hymne zu verfassen. Anscheinend funktioniert auch bei
Nationalhymnen das darwinistische Prinzip, dass der Stärkste überlebt.
Genau dieser bescheidenen Winterthurer Tradition (dem Land eine neue Hymne zu
geben) folgte der Musiker Walter Zweifel. Er nahm sich vor, das Ding zu
überarbeiten. Und unter dem wohlwollenden Mäzenat der Stadt, des Kunstexperten
Andreas Reinhart und der Hilfe der einheimischen Plattenfirma Phonag wurde eine
CD herausgegeben, zuerst eine Maxi, die dann Teil eines Albums mit solchen
Experimenten sein soll. Die neue Hymne wurde einem breiten Publikum mit grossem
Presseaufmarsch vorgespielt.
Mit dabei war auch der Künstler Martin Schwarz mit seinen Bildmontagen namens
"Eurokick" zum Thema Fussball-EM in Grossbritannien. Natürlich hat das
miteinander nichts zu tun, die Bilder sprechen für sich und bilden überhaupt
kein "multimediales Kulturereignis", wie sich Stadtrat Wohlwend auszudrücken
geruhte. Das einzig multimediale an dieser Aktion ist wohl die professionell
aufgemachte Website auf Winti-Net.
Hier können sowohl die Bilder, als auch der Sound runtergeladen werden
(vorausgesetzt, dass "man" die nötige Audio-Software und ein entsprechend
schnelles Modem hat).
Zur CD kann man nur sagen: ein schlechter Witz. Die Idee einer Verjüngung der
tatsächlich nicht mehr zeitgemässen Hymne in Ehren, aber so nicht! Der grosse
Unterschied zur alten ist es, dass nicht mehr im 3/4-, sondern im angeblich
jugendlicheren 4/4-Takt eingepennt oder vor sich hingelullt werden darf (viel
mehr BPM hat auch die neue Hymne nicht). Von jung keine Rede, denn die Jungen
stossen sich gerade am lächerlichen Text. Dieser wurde (vorläufig ?) belassen
und sogar auf die CD-Cover gedruckt, dass ja jeder und jede die Hymne nachsingen
kann. Scheibenkleister. Wir können die Kurzversion der Hymne nicht nur auf
Internet, sondern auch auf Telecom (nämlich per Telephon) geniessen. Hierzu
wähle mensch die (in manchen Betieben - wie unserem) gesperrte Nummer 156 69
90.
Vier Tracks befinden sich auf der erschienen CD "Hymne Suisse". Neben der
"Orginalversion" gibt es auch eine Raveversion davon. Hier zeigt der Komponist
sehr deutlich, dass er eine gute Idee hatte, aber von "Rave", "Techno" und
"Jugendkultur" etwa soviel versteht wie ich von Frauen: gar nix. Der Track an
sich ist nicht schlecht (das gilt auch für das ähnlich aufgebaute "Viva nation"
aus dem gleichen Dunstkreis). Aber hier wurde auf eine durchschnittliche
Kommerz-Unz-Spur einfach der Melodiegang reingesampelt, von einem homogenen
Track also keine Spur. Hier wurde einfach "aus alt mach neu" betrieben. Kein
Wunder, waren auch die meisten Jugendlichen, die den Vorplatz vor dem Museum
säumten, nicht gerade begeistert von dieser Vorstellung. Ganz im Gegenteil, eher
belustigt von soviel Blödsinn. Und die wenigen Alten regten sich selbstredend
darüber auf, dass unsere glorreiche Nationalhymne, die wohl schon weiland Tell
auf den Lippen gehabt hatte, so verballhornt worden ist.
Ich habe nichts gegen Kunst - und schon gar nicht gegen Verfremdung (mensch hat
ja Brecht gelesen). Aber das ist nicht einfach nur eine kritische Verzerrung, es
gefällt nicht nur nicht, es ist einfach ein Blödsinn, ein schlechter Witz. Die
Jungen können mit diesem nationalen Schrott nichts anfangen, die Alten verstehen
die Welt nicht mehr, und Winti verscheissert sich damit selbst. Sicher, die
Grundidee einer "neuen Nationalhymne" ist weiss G... nicht übel, ja bitter
nötig. Wir Jungen können nichts mit diesem an Armee und Patriotismus erinnernden
Theater anfangen. Aber das ist nun wirklich blöd. Dieser Anlass war schlicht
nicht nötig. Und das Motto "Wir wollen international zeigen, dass die Schweiz
modern, mutig und eigenständig ist..." zeigt nur eine gewisse Tendenz zum
Grössenwahnsinn, so leid es mit für Winti auch tut.
Die Macher wünschen sich, dass die neue Hymne an der Eröffnung der Fussball-EM
im Wembley-Stadion gespielt werde. Die Welt soll erfahren, mit was wir uns
identifizieren. G... verhüte, DAMIT jedenfalls nicht. Und wenn überhaupt
Nationalhymne (für Fussballspiele zum Beispiel), dann aber richtig und wirklich
"modern", nicht einfach nur auf neu getrimmt. Ich kann dazu nur sagen: Bad form,
Winterthur! Ich erwarte voller Spannung das erste Match unserer Nationalelf -
welche Hymne dann wohl gespielt wird?
|