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8.4.1996

Musicals

Keep Cool

Phantomgeburtstag

Anatevka

Rocky Horror Show

Evita

Phantom der Oper

A Chorus Line

Manche mögens heiss

Holiday on Ice

Doktor Frank`n Furter kommt nach Zürich

Erinnert Ihr Euch an Tim Curry als Doktor Frank`n Furter, der sich als Ober-Tunte einen Frankenstein-Transvestiten zum Gespielen erbaut? Und dass ihm das zum Verderben wird? Das dem Film zugrunde liegende Musical Rocky Horror Show ist schon über zwanzig Jahre alt, hat aber seither kaum an Frische und Witz verloren. Die Westend-Version wurde, nach unzähligen Kino- und TV-Reprisen, endlich auch `mal in Zürich aufgeführt. Die Truppe befindet sich auf einer ausgedehnten Europatour und hat (leider nur) drei Tage halt im Volkshaus gemacht. Das Resultat: eine der wohl aufgedrehtesten und auffäligsten Musicals der letzten Jahre. Die Regie führte Christopher Malcolm, die Choreographie stammte von Stacey Haynes.

Die Handlung ist ja eigentlich schnell erzählt. Brad und Janet, ein junges Liebespaar, verirren sich auf ein Schloss, wo ausserirdische Transvestiten vom Planeten Transsylvanien ihr Unwesen treiben. Der Obertransi, Frank`n Furter, erschafft sich nach dem Vorbild des Genfer Doktors Frankenstein einen Kunstmenschen. Allerdings ist dieser Adonis von Mann vielmehr zur Lust des Erschaffers konzipiert. Doch die Sache geht wortwörtlich in die Hose, denn vom ausschweifenden Leben, das der Meister führt, lässt sich auch das "Monster" anstecken und wird zu des Erschaffers Leidwesen heterosexuell. Janet darf davon profitieren. Schliesslich werden der Doktor und sein Monster vom buckligen Diener Riff Raff umgebracht, und Janet und Brad gehen glücklich nach Hause. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tun sie es noch heute (miteinander).

Die Geschichte der Rocky Horror Show ist so schräg, wie das Stück selbst es ist. Der Geburtstag des Transvestiten-Musicals wird auf den 16. Juni 1973 datiert, Geburtsort war London, das Royal Court Theatre. Nach mehreren Pannen wurde das Stück an vielen verschiedenen Orten in London aufgeführt und wurde mit der Zeit ein Grosserfolg. 1975 kam der Film in die Kinos, gleichzeitig mit der Broadway-Produktion. Beide erwiesen sich als Flops, die Amis konnten mit der schlüpfrigen Materie, die zugegebenermassen auf eine gewisse Art typisch britisch ist, nichts anfangen. In Europa jedoch wurde das Musical zu einem Hit, später zu einem wahrhaftigen Kult. Rocky und Frank`n Furter wuchsen an zu einem Symbol für sexuelle und soziale Freiheit, aber auch für einen lockereren, ja selbstironischen Umgang mit der Sexualität selbst.

Im Zürcher Volkshaus herrschte am "Premierentag" Volksfeststimmung. Zum Glück war der Saal nur etwa halbvoll, sonst wäre die Hütte wahrscheinlich zusammengekracht wie die Mauern von Jericho. Im Vergleich zu vielen anderen Musicals (nehmen wir das "Phantom" als Beispiel) waren nicht nur fast ausschliesslich junge Leute anwesend, sondern auch viele, die sich offensichtlich als Fans outeten. Wo immer mensch auch hinblickte, unbeschreiblich hoch war die Zahl jener, die es genossen, mit ihren teils phantasievollen, teils abscheuerregenden Kostümen im Rampenlicht zu stehen. Dies, obschon es nicht sie selbst waren, die auftreten sollten. Wir konnten Frauen mit Leichenbemalung sehen, Männer in Strapsen und in den Mieder gestopftem Vorbau und Undefinierbare mit den Insignien eines möglichen dritten Geschlechts. Ganz offensichtlich gehörte das dazu, die Show vor der Show, um die Show. Es war echt schräg.

Die Aufführung war ein wahres Erlebnis. Zwar war das Volkshaus (wegen Ostern?) nur halbvoll, aber das tat der Unterhaltung keinen Abbuch, ganz im Gegenteil. Von Anfang an wurde das Publikum miteinbezogen. Die vielen Girls, Boys und die anderen Anwesenden johlten, warfen Toilettenpapierrollen, schmissen mit Reis um sich, verspritzten Wasser aus eigens dafür mitgebrachten Pistolen, buhten, pfiffen und sprachen/sangen mit, wenn der programmgemässe Augenblick dazu gekommen war. Es war eine Riesenstimmung. Der Boden erzitterte unter dem tosenden Beifall, viele Anwesende wurden feucht, und einige andere tanzten, was das Zeug hielt. Ganz klar ist es die Stimmung, die den Erfolg dieses Musicals ausmacht. Ich hatte das Gefühl, in einem Volksfest oder einem Open-Air-Konzert zu stecken.

Sonst? Ein souverän gespieltes Stück, trotz der eher frivolen Handlung sehr überzeugend agierende SchauspielerInnen und vor allem eine bombastische Musik (ein Berner meinte:"das hät gfägt") rundeten den phantastischen Abend ab. Rock`n Roll und fast punkige Töne, gemischt mit einem oft sehr witzigen Text sprachen fast alle an, auch die, die sonst selten solche Musik hören (wie ich). Die positive Stimmung half auch darüber hinweg, dass die Location, das Volkshaus, für solche grossen Anlässe nicht gerade geeignet ist. Die "Rocky Horror Show" ist ein guter Ausgehtip für alle, wenn sie mal wieder vorbeitourt.



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Volkshaus in Zürich.