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15.2.1996

Musicals

Keep Cool

Phantomgeburtstag

Anatevka

Rocky Horror Show

Evita

Phantom der Oper

A Chorus Line

Manche mögens heiss

Holiday on Ice

Ein Phantom verunsichert Zürich

Ich kann mich noch erinnern, als ob es gestern war. Vor Urzeiten, als ich noch an der Kantonsschule den Pflichtstoff in meine sensiblen Gehirnwindungen hineinstopfte, reisten wir anlässlich unseres Maturaausflugs ins ferne Wien. Als Höhepunkt stand der Besuch des damals Aufsehen erregenden neuen Musicals "Phantom of the Opera" des Meisterkomponisten Andrew Lloyd Webber im Burgtheater am Ring auf dem Programm. Geschniegelt wie die Lackaffen marschierten wir hinein und völlig angetan wieder heraus. Leider habe ich, wie so vieles während meiner Kantizeit, auch dieses Kapitel wieder vergessen.

Macht nichts. Das Phantom ist nach Zürich gekommen, sei es auch nur für drei Tage. Ich erinnere mich auch noch an das Geschrei, das daraus entstanden ist, dass der selige Kulturmäzen Eynar Grabowsky das Phantom nach Zürich bringen wollte. Unsere Stadträtin Koch brachte es jedoch fertig, das empfindliche Phantom so zu verekeln, dass er nach Basel zog, wo dieses Musical seit Jahren noch immer erfolgreich aufgeführt wird. Eben diese Frau Koch war aber leider nicht zu sehen, als letzte Woche für nur drei Tage das erwähnte Phantom im Kongresshaus zu Zürich Rast machte. Dafür durfte Biwidus an die Premiere. Und leider war diese Version nicht die "echte" von Webber, sondern die jüngere Broadway-Fassung von Kopit/Yeston. Einmal mehr wurde Zürich also von einem Broadway-Team besucht. Und dies, interessanterweise, ohne jedwelche Medienbeachtung!

Die Vorlage zum Musical stammt vom französischen Autor Gaston Leroux, der sich mit seinem gothic anmutenden Roman "Le Fantome de l'Opera" anfangs unseres Jahrhunderts ein literarisches Monument gesetzt hatte. 1983 schrieb der Drehbuchautor Arthur Kopit zusammen mit dem Komponisten Maury Yeston die Musicalversion des Phantoms. Während einer Pause seines Kollegen Yeston versuchte Kopit, sich mit dem jungen Komponisten Andrew Lloyd Webber zu arrangieren, der auch an einer Arbeit zum Thema Phantom der Oper war. Die im Kongresshaus aufgeführte Version ist jene von Kopit und Yeston. Ihre Fassung hatte 1991, Jahre nach Webbers Welterfolg, in New York Weltpremiere.

Nach verschiedenen Bühnenversionen und Filmadaptionen (zuletzt 1987 mit Burt Lancester in der Hauptrolle) ist die Fassung von Kopit/Yeston eine typische Broadway-Version. Die Handlung ist nicht im Vordergrund, dafür die Musik und die Lieder. Im Gegensatz zu Webber, dies als letzte Nebenbemerkung zum weitaus bekannteren (und in meinen Augen auch spannenderen) Konkurrenzprodukt, ist also die aufgeführte Fassung weniger episch ausgelegt. Webbers Fassung kann ja ohne weiteres als veritable Rock-Oper nach dem Vorbild eines "Tommy" verstanden werden, während Kopit/Yeston ein "echtes" Broadway-Musical geschaffen haben.

Echte Premierenstimmung kam im Kongresshaus leider nicht auf. Diese Aufführung des weltbekannten Musicals war in Zürich eine Volksvorstellung. Viele junge Leute, Girls und Boys, waren aufgetaucht, von Promis keine Spur. Das hing sicherlich nicht zuletzt mit dem sehr stieren Aeusseren des Kongresshauses zusammen. Mit meiner ausserordentlich attraktiven und allerliebsten Begleiterin setzte ich mich also zwischen zwei Yuppies aus dem Bünderland und eine (frau verzeihe mir diese Wertung) Hausfrau.

Das Orchester, geführt von Adam Bardabusz, hielt sich löblicherweise im Hintergrund. Das teure Bühnenbild war, ausser der immer wieder benützten Drehbühne Opernfassade/Katakomben, ziemlich schlicht, was aber nichts an der Wirkung des Stückes geändert hat. Die Singstellen, meist eine undefinierte Mischung aus Sprechgesang und Opernarien, wechselten ab mit gesprochenen Partien, die zu meiner Verwunderung von den amerikanischen SchauspielerInnen in einem akzentuierten Schriftdeutsch wiedergegeben worden sind. Die Mühe, die sie auf sich genommen haben, sollte eigentlich von mir gelobt werden. Meines Erachtens hätten die englischen Orginaltexte aber wohl mehr "gebracht". Der Ami-Akzent weckte bei mir nur Amusement. Einmal mehr musste ich feststellen: Volksvorstellung. Und dabei kam ich mir vor wie ein Snob.

Die Handlung ist schnell erzählt: Christine, ein Landei, kommt an die Pariser Oper, um singen zu lernen. Dort, unter der Oper, in den alten Katakomben, haust jedoch ein legendäres Ungeheuer, das Phantom der Oper. Erik das Phantom ist im Gesicht aufs Greuchlichste entstellt. Deshalb muss er eine Maske tragen und bestraft jeden, der sein Gesicht sieht, mit dem Tode. Die einzige Ausnahme bildet der ehemalige Direktor, der sich in der Folge als Eriks Vater entpuppt. Der junge Mann lernt Christine kennen und möchte ihr Gesangsunterricht geben. Er verliebt sich in sie und will sie in sein Reich entführen. Als sie sein Gesicht sieht, rennt sie weg und er in sein Verderben. Um der Polizei nicht in die Hände zu fallen, bittet er seinen Vater, ihn zu erschiessen und stirbt in den Armen seiner Geliebten, ohne dass er sein Gesicht zeigen musste.

Die Produktion war alles in allem ziemlich durchschnittlich. Trotz des offensichtlich grossen Aufwandes, den die Truppe auf ihrer Europatour betreibt (allein das Bühnenbild kostete eine halbe Million Dollar), war die Aufführung unspektakulär. Ich, der ich Webbers Meisterwerk gesehen habe, der das Pathos und die epische Form dieser Figur und dieser Geschichte viel überzeugender herausgehoben hat, war von dieser Fassung ziemlich enttäuscht. Im Gegensatz zu meiner Begleiterin schien mir Webbers Phantom mitreissender, auch das restliche Publikum war von diesem Phantom nicht besonders überzeugt. Wo war der Donner des allseits bekannten (webberschen) Titelstücks? Wo war das ergreifende Zittern in der Stimme des gefallenen Liebespaars?

Trotzdem. Die drei Phantom-Aufführungen waren eine Reise wert, nicht nur für Verliebte, sondern auch für "NormalbürgerInnen" (im Gegensatz zu Webber...). Fakt ist, dass das Kongresshaus nicht ganz ausverkauft war. Wer das "echte" Phantom sehen will, muss weiterhin nach Basel oder ins Ausland. Aber wem es nichts ausmacht, wer eher wegen des Musicals gekommen war, war im Kongresshaus gut aufgehoben. In diesem Sinne: Licht aus, Maske ab!



Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus dem Kongresshaus Zürich.