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11.11.1995

Satire

Giftzwerge 1998

Mehr Katholiken

Giftzwerge 97

Fusion: Geld/Gott will es!

Fliegende Kühe etc.

AG <-> FC

Die Seepromenade

Journalismus als (Alp)Traumjob

Den Girls in den Sack geschaut

Giftzwerg 96

Zürich unabhängig

Zürich unabhängig

Dienstagskanzlei

Heisse Tage in Zürich

Freundlich :)

Kreuze und Nullen?

Faire Landwirtschaft

Giftzwergverleihung 95

Der Goldene Giftzwerg 1995

Es ist Fasnachtszeit. Heute morgen Schlag 11.11 Uhr haben die Guggen und Narren/Närrinnen von Zürich die närrische Zeit eingeläutet, resp. eingeblasen. Ihr Getute war Anlass für Biwidus zu einer zeitgeschichtlich-fasnächtlichen Auseinandersetzung mit dem verbleichenden Jahr 1995. Unter Pauken und Trompeten erkor Biwidus die 10 übelsten Narren und Närrinnen des Jahres. Ihnen wird die Redaktion in den nächsten Tagen offiziell den Goldenen Giftzwerg für den übelsten Narren, resp. die übelste Närrin, resp. die närrischste Tat weit und breit, resp. jen- und diesseits des Andromeda-Nebels übergeben.

Biwidus stellt seiner geehrten LeserInnenschaft in dieser Ausgabe exklusiv die zehn PreisträgerInnen vor und zwar (um die Spannung aufrecht zu erhalten) in umgekehrter Reihenfolge und samt einer Kurzfassung der Laudatios, die vom bekannten irischen Dichter Phil O'Soff gehalten worden sind.

10. Die staatliche Zensurbehörde

Hier soll nur auf die Kulturskandale um das Splatter-Video Blutgeil und die Erotik-Ausstellung im Helmhaus verwiesen werden. Zugegeben: das Video troff nur so von Ketchup und einer alles in den Schatten stellenden (und von der Autorenschaft nie bestrittenen) Geschmacklosigkeit, aber was sich die Bezirksanwaltschaft diesbezüglich geboten hat, übertraf das Video an Geschmacklosigkeit um ein Vielfaches. In zwei Prozessen wurden die Autoren angeklagt und mussten blechen. Die Hauptangeklagten, beide halbe Irre aus dem Umfeld der sogenannten HausbesetzerInnenszene und der seligen Wohlgroth, blieben dabei moralische Sieger, denn der Staat wollte an ihnen ein Exempel statuieren, das durchaus einen starken politischen Aspekt hatte. Das darf nicht sein in unserem Land, mensch kann sich weitaus brutalere Filme in Videotheken und Kinos ansehen gehen. Wir haben das Video auch geschaut und waren mehr amüsiert als schockiert ob so viel primitiven "Filmtricks" (z.B. Blutschläuchen, die aus angeblichen Wunden heraushingen). Eine miese Show des Staates. Dasselbe wiederholte sich gegen Ende Jahr, als im ehrwürdigen Helmhaus der scheidende Kurator eine Ausstellung über (lesbisch geprägte) Pornokunst eröffnen wollte. Eine unverständliche Ukas des Stadtpräsidenten Sepp E. verhinderte die Eröffnung kurzfristig. Die Bilder waren tatsächlich recht gewagt und zum Teil hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, aber wie schon bei Blutgeil muss gesagt werden, dass einE jedeR solche Bilder an jeder Ecke erstehen kann. Bad form für den Staat. Es ist eine Schande, dass in einem Staat wie unserem mit Kunst und Kultur so umgegangen wird. Sicherlich ist das Gesetz zu schützen. Wer jedoch ein solches Gesetz schreibt, muss sich über seine Tragweite bewusst sein und die Grenzen klarer (und entsprechend enger) ziehen. Kunst und Kultur ist a priori kaum definierbar, dessen muss sich der Staat im Klaren sein. Was nicht unzweifelhaft "schlecht" ist. muss geduldet werden, sonst zensuriert der Staat fast willkürlich. Deshalb geht der 10. Platz des Wettbewerbes um den Goldenen Giftzwerg an die staatliche Zensurbehörde.

9. Cornelia Grolimund

Sie wurde zur grössten Närrin (weiblicher Natur) des letzten Jahres gewählt. Als Model mag sie schön (???) und recht gewesen sein, und dass sie Mode kreiert, ist sicher nicht ihr Fehler, sondern derjenige derer, die das Zeugs kaufen. Dass sie aber zu singen begonnen hat, war wohl ihr schlimmster Fehltritt und eine katastrophale Episode der Schweizer Kultur im letzten Jahr. Die Vorstellung ihres ersten Verbrechens (Das Puppenhaus) war definitiv ein Fiasko, denn die Kleine kann weder anständig singen, noch das Gesungene darstellen (Gitarre mit zwei Saiten und One-Song-Gigs). Sie wurde am ETH-Fest ausgebuht und -gepfiffen, Ehre, wem Ehre gebührt. Es wird gemunkelt, dass nach dem zweiten Streich aus dem Hause Grolimund nun auch noch ein Album releast werden soll, wahrscheinlich erst 1996. Wenn, dann ist sie sicher auch in der nächstjährigen Ausmarchung des Goldenen Giftzwergs eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen.

8. Der Plakatbekritzler

JedeR, der/die im Hauptbahnhof die vielen mehr oder weniger hässlichen Werbeplakate der verschiedensten Firmen und Produkte anschaut, kennt den alten Vollidioten, der diese immer wieder mit faschistischen und religiösen Texten (noch mehr) verschandelt. So sehr es auch egal ist, wer was mit diesen Plakaten macht, dieser Depp verdient einen Golden Giftzwerg. Es ist der faschistische (z.T. gar antisemitische) Inhalt dieser Texte, die sie zum Verbrechen gegen die Gesellschaft werden lassen. Und der Typ selber braucht einmal eine tüchtige (physische und psychische) Abreibung, denn so geht es nun wirklich nicht. Denn wenn er nicht endlich in die PUK ("Burghölzli") eingeliefert wird, wird er wahrscheinlich auch nächstes Jahr an prominenter Stelle in diesem Wettbewerb auftauchen.

7. Michael Jackson

Mensch kann geteilter Meinung über ihn als Künstler sein, über den Kinderfreund und Möchtgern-Weissen Mike J., aber den Starkult um ihn kann man nicht gutheissen, dafür verdient er ohne weiteres mindestens einen Goldenen Giftzwerg. Seine kotzhässlichen Statuen waren ein typisches und gelungenes Beispiel für den (national-)sozialistischen Realismus der letzten Jahrzehnte. Auf deutsch: das Marketing war und ist besser wie die Musik. Nee, Männeken, sooo nicht! Wenn Du singen willst, O.K. Aber nicht als Halbgott in weiss! Drum überreichen wir Dir diesen Preis. Have fun with it!

6. VPM und Konsorten

Der Verein für psychologische Menschenkenntnis (kurz VPM genannt), besser bekannt als der Verein für pathologische Menschenverarschung VPM, führte auch im Jahr 1995 verschiedene Prozesse gegen Leute, die ein unglaubliches Verbrechen begannen haben: sie hatten nämlich recht. Abgesehen von diesen Verfahren beschäftigte sich der Verein auch mit der vernunftfeindlichen Initiative Jugend gegen Drogen. Also, sicherlich mögen Drogen nicht das Gelbe vom Ei sein und so weiter. Aber wir lassen uns nicht von irgendwelchen Dahergelaufenen sagen, was wir zu tun haben und was nicht. Deshalb: den Goldenen Giftzwerg für den VPM. Lasst die Finger davon! Nicht von Drogen meine ich (so`n kleines Oefeli täte Euch mal gut), sondern von Eurem autoritären Getue. Legalize it! Das ist die Botschaft der Vernunft. Wir lassen uns doch nicht eine ganze Generation vor die Hunde gehen (resp. kriminalisieren), nur weil Ihr keine Vernunft annehmen wollt.

5. Radovan Karadzic und sein Sündikat

Wieso der Führer der bosnischen Serben den Goldenen Giftzwerg erhalten hat, liegt ja wohl auf der Hand. Der ausgebildete Psychiater sollte schleunigtst einen Kollegen aufsuchen (meinetwegen auch eine Kollegin). Er hat es auch im Jahr 1995 fertig gebracht, die ganze Welt (und die Weltgemeinschaft) in Atem zu halten und aufs Kreuz zu legen. Seine Ideen und sein Verhalten erinnern an einen anderen Irren, der die Maxime der kapitalistischen Gesellschaft (vom Tellerwäscher zum Milliardär zu werden) ad absurdum getrieben hat und vom untalentierten Maler/Anstreicher zum grössten Versager aller Zeiten geworden ist. Die serbischen KZs spotten jeder weiteren Bemerkung zum Thema Homo Sapiens Sapiens. Wenn er auch 1996 so weiter macht, wird er wohl einer der ersten Kandidaten sein, die einen Goldenen Giftzwerg auf Lebzeiten erhalten.

4. Unbekannte Geistesgestörte

Jaja. Es ist langsam zur Normalität geworden, dass rechtsextreme Geistesgestörte (ein Pleonasmus) ihre faschistischen Parolen brüllen und die Hand zum Hitlergruss erheben (beides deutliche Verstösse gegen das vom Volk angenommene Anti-Rassismus-Gesetz) und die Polizei hat nichts besseres zu tun, als sie tun und walten zu lassen. So geschehen an der SVP-Demo am 23.9. Auch dürfen diese offensichtlich Leute verprügeln, die ihnen nicht genehm sind, ohne dass die Obrigkeit einschreiten kann (oder will). Offensichtlich braucht es doch eine fortschrittliche Miliz, die uns vor diesem Wahnsinn schützen kann. Und diese bornierten hirnrissigen Typen, die auf der Münsterbrücke ihre Sprüche geklopft und ein dreifaches Sieg-heil! auf ihren Führer geschrien haben, verdienen ohne weiteres den Goldenen Giftzwerg. Wenn das so weiter geht, sind sie auch bald mal auf dem Podest dieses Wettbewerbs. So nicht, meine Herren. Ihr könnt Euch austoben, wenn Ihr wollt, aber sucht Euch den Platz besser aus. Ich denke da an die Mahnmale von Dachau, Oswiecim (Auschwitz) oder Yad Vashem. Dort kriegt Ihr dann wahrscheinlich auch, was Ihr verdient. Unser Land gilt als das sauberste Land der Welt. Aber dass es immer noch so Unrat gibt wie Euch, stimmt mich bedenklich. Aber Ihr könnt ja nichts dafür. Wie steht es doch geschrieben? Selig sind die Armen im Geiste. Und Eure Führer tragen das Ihrige dazu bei.

3. Der Blick

Das nationale Boulevardblatt führt etwa jeden Monat eine Hetzkampagne gegen für die Redaktion unliebsame Persönlichkeiten und Bevölkerungskreise durch (z.B. gegen Bundesrat Stich). Das mag schön und recht sein, denn immerhin gibt es Hunderttausende von ZeitgenossInnen, die diesen Schund lesen, mögen und sogar daran glauben. Was immer mensch über die Qualität der blickschen Berichterstattung sagen kann, mit der Verunglimpfungskampagne gegen Exponentinnen der SF DRS-Sendung Zehn vor Zehn haben die Blick-Leute und ihre Helfershelfer (z.B. das schawinskische Lokal-Fernsehen TeleZüri) den Vogel abgeschossen. Die Schlammschlacht um ein paar Versprecher der Moderatorin Stephanie Zimmermann entbehrt jedes publizistischen Feingefühls und ist ein Tiefpunkt im Medienjahr 1995. Sicher, die junge TV-Frau hat sich zu viele Fehler erlaubt, auch für Uneingeweihte wurde klar, dass sie sich in der Materie (Eishockey) nicht sehr gut auskennt, aber daraus ein solches "Gschiss" zu machen, verdient einfach den dritten Platz in der Rangliste des Goldenen Giftzwergs. Aus einer amüsanten kleinen Story wurde ein nationales Desaster gemacht, das ist auch für ein solches Medium wie den Blick inakzeptabel. Der Blick hat sich darauf auf die Zehn vor Zehn-Chefin Jana Caniga regelrecht eingeschossen und schliesslich sogar erreicht, dass der TV-Boss Schellenberg das satirische Element (ohnehin nicht gerade weit verbreitet) gänzlich aus dem nationalen TV verbannt hat. Ein Armutszeugnis für ein Medium, das schon so zu seriös ist. Biwidus steht ein für Satire, gerade im nationalen Fernsehen, das sich ja eigentlich nicht um irgendwelche Interessensbindungen kümmern sollte. Der Blick hat einen Treffer gelandet, sich aber damit erst recht diskreditiert. Bronze für den Blick.

2. Christoph Blocher

Der Pfarrerssohn und ausgebildete Bauer aus Meilen hat sich im Jahr 1995 zum Schreckgespenst aller fortschrittlich Denkenden in der Schweiz gemausert. Die ihm hörigen Organisationen und Personen (Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz und SVP) waren omnipräsent in den Medien und der öffentlichen Diskussion (hat er jetzt eigentlich ein Abo auf Lebenszeit vom SF DRS erhalten ?). Durch ihn sind die Isolationisten in diesem Land kurz davor, einen historischen Sieg zu erzielen und die europäische Integration der Schweiz ganz zu verunmöglichen (die "bilateralen Verhandlungen" stehen ja kurz vor dem Fiasko). Für Forschung und Bildung wird es immer schwerer, sich im starken europäischen Umfeld zu behaupten, und die Wirtschaft klagt über die verschiedensten Wehwehchen, die aus der isolierten Lage der Schweiz herrühren. Dabei verkauft der Ems-Chemie-Chef (angeblich) weiter munter Minen und anderes. Eines muss man ihm ja lassen: rhetorisch ist er top, und seine ungebändigte Gier nach Macht macht ihn äusserst erfinderisch. Trotzdem war seine mittelalterliche Darbietung am 23. September eine amüsante Lächerlichkeit und ein Freilichtmuseum mit 10'000 Möchtegern-Winkelrieds. Dass er dabei erst recht dem Rechtsextremismus in der Schweiz Tür und Tor geöffnet hat (siehe Platz 4), hat nicht nur eine offizielle Studie feststellen müssen, mensch erkennt das auch sonst an der Propaganda seiner Partei und mit ihm verbündeter Kreise. Leider konnte er nicht den ersten Preis dieses Wettbewerbs einheimsen, denn für seine Narrenfreiheit ist nicht hauptsächlich er verantwortlich, sondern diejenigen, die ihn wählen. Biwidus hat unglücksseligerweise nicht genug Giftzwerge, um jedem Wähler/jeder Wählerin einen zu überreichen, aber das kommt sicher noch, wenn unser Medium florieren sollte.

1. Jacques Chirac

Zu allererst: Stop it, Chirac! Die ganze Welt labert von Abrüstung, und noch nie in der Menschheitsgeschichte war der Homo Sapiens knapper davor wie heute, aber der Präsident des Landes, das uns eine weltbewegende Revolution geschenkt hat, befiehlt selbstherrlich, die Atombomben weiter zu testen. Mag sein, dass er tatsächlich nach diesen sechs Bömbchen dem Teststopp zustimmen will, aber mit dieser ersten Entscheidung seiner Laufbahn hat er sich vor der ganzen Welt als unglaubwürdiger Sonnenkönig des 20. Jahrhunderts geoutet. Die weltweiten Proteste haben in der grossangelegten Kampagne der Umwelt-Milizen von Greenpeace vor dem Mururoa-Atoll gegipfelt, die damit sogar die Sympathie von Leuten gewonnen haben, die ihnen sonst nicht wohlgesonnen sind. In der Schweiz haben einige Male Kinder und Jugendliche ihrem Protest Ausdruck gegeben. Chirac muss lernen, dass in unserer vernetzten Weltgesellschaft niemand mehr einfach so willkürlich irgendwelche Entscheidungen treffen kann, ohne sich mit den Betroffenen (und davon kann zumindest bei der Jugend sehr wohl die Rede sein) abzusprechen. "L'Etat, c'est moi" gilt heute einfach nicht mehr, mein lieber Bruder Jacques, deshalb erhältst Du den Goldenen Giftzwerg Nr. 1. Stop the Bomb, oder die Geschichte wird es Dir nie mehr verzeihen. Was China macht, ist fast uninteressant, denn die linksfaschistische Regierung in Peking tut eh, was sie will und wundert sich, dass sie von der Weltbevölkerung politisch abgelehnt wird. Aber Frankreich, das die Menschenrechte nach Europa gebracht und der Nachwelt die Demokratie moderner Prägung hinterlassen hat, darf nicht das einzige Land der Neuzeit sein, das an diesem apokalyptischen, strategisch und politisch völlig sinnlosen Spielzeug festhält. Ich hoffe, dass Dir diese Auszeichnung eine Lehre ist.


Für Biwidus: Wildcat (EMail) aus Zürich und dem Universum drumherum.